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Von der Halle an den Fels

Boulder-Talent Anna Stöhr im Gespräch

9 Minuten Lesezeit
Doppelte Welt- und Europameisterin im Bouldern. Dreimalige Gewinnerin des legendären Boulder-Wettkampf Rock Master in Arco. Vier Gesamtweltcup-Siege. Die Liste von Anna Stöhrs Erfolgen an künsltichen Wänden ist lang. Heute fühlt sich die Tirolerin und Salewa-Athletin eher am Fels wohl. Ein Interview mit dem Klettertalent.

Anna, erzähl doch kurz, wie Du damals mit dem Klettern angefangen hast?
Ich habe ziemlich früh mit dem Klettern angefangen, weil meine Eltern beide viel an Felsen rund um Europa unterwegs gewesen sind und mich und meine Schwester immer mitgenommen haben. Zuerst sind wir immer nur in den Seilen gehangen und rumgerutscht, was Kinder halt so machen, und irgendwann hat es uns dann doch interessiert und wir haben angefangen zu klettern. Mit acht Jahren bin ich einer Gruppe in Innsbruck beigetreten und wir haben uns jede Woche zum Klettern getroffen. Irgendwann haben wir dann trainiert und bei Wettkämpfen mitgemacht. Das eine ist dann so zum anderen gekommen.

Salewa-Athletin Anna Stöhr
Boulderweltmeisterin und Salewa-Athletin Anna Stöhr | Foto: Salewa

Wolltest Du von Anfang an auf Wettkämpfen klettern?

Das war alles eigentlich gar nicht so geplant. Ich hatte auch nicht von klein auf den Traum, vom Klettern zu leben. David Lama zum Beispiel war auch in der Klettergruppe und hat immer gesagt, dass Klettern sein Beruf wird. Ich habe das immer waghalsig gefunden und würde mich nie trauen das zu sagen.

Es ist dann einfach so gekommen, würde ich sagen. Dadurch, dass wir in der Klettergruppe viel in der Halle unterwegs waren, viel trainiert haben und zu Wettkämpfen gefahren sind. Und es hat mir schon immer total viel Spaß gemacht. Meine Schwester war immer die, die für sich geklettert ist und die lieber nicht so gern Leute dabei hatte, die zugeschaut haben. Mir hat das eigentlich immer schon gefallen. Als zehnjähriges Mädchen hat mir das einfach getaugt, wenn Leute zugeschaut haben. Voll der Wettkampftyp eben, von Anfang an.

Hallenklettern oder Felsklettern?

Jetzt bist Du lieber draußen am Fels unterwegs und hast Deine Wettkampfkarriere beendet. Was ist der Unterschied zwischen Hallen- und Felsklettern?

Der große Unterschied ist sicher, dass man in der Halle immer mit einer großen Gruppe klettern geht oder eben bei Wettkämpfen ganz viele Leute zuschauen. Da ist das Thema Zuschauer schon ganz präsent. Beim Felsklettern schätze ich die Einsamkeit. Zwar nie ganz allein, weil ich jemanden habe, der mich sichert und beim Bouldern manchmal Freunde dabei sind. Aber das ist eine sehr viel kleinere Gruppe.

Und hat sich dadurch, dass Du mehr am Felsen unterwegs bist, Dein Training geändert oder trainierst Du genauso viel wie vorher?

Ich habe mein Training schon sehr verändert, in dem Sinne, dass ich jetzt nur noch klettere. Früher habe ich sehr viel Krafttraining gemacht und auch am Campusboard trainiert oder gehangelt. Ich war aber nie im Fitnessstudio, war nie die, die ganz klassisches Training gemacht hat, sondern habe eher probiert, die Sachen an die Kletterwand zu bringen. Und auch in meiner aktiven Wettkampfzeit bin ich ganz viel an den Felsen gefahren. Für mich waren dieser Ausgleich und auch das Naturerlebnis extrem wichtig.

In der Wettkampfphase ist man extrem viel in der Halle, extrem viel im Magnesiumstaub, und irgendwie powert man sich da aus. Es hat mir immer total viel gebracht, wenn ich einfach gesagt habe: „Heute geh ich raus oder jetzt bin ich mal einen Monat draußen unterwegs.“ Aber eine klare Abgrenzung gibt es für mich nicht, dass ich ab jetzt nicht mehr Wettkampfkletterin bin, dafür Felskletterin. Dieses Schubladisieren war noch nie so ganz meins. Ich gehe jetzt auch hin und wieder in die Halle, wenn das Wetter schlecht ist.

Salewa-Athletin Annta Stöhr | Foto: Salewa
Salewa-Athletin Annta Stöhr | Foto: Salewa

Wenn Du jetzt an Kletteranfänger denkst: Gibt es einen Unterschied hinsichtlich der technischen Möglichkeiten zwischen dem Klettern in der Halle und am Fels?

Klettern hat sich sehr stark weiterentwickelt. Am Fels hat man natürliche Grenzen der Bewegung, in der Halle kann man dagegen ganz funkige Moves einbauen, die man draußen nicht findet. Konstruierte Bewegungen, die ein bisschen in Richtung Parcour gehen, die aber total spannend sind und nochmal eine neue Dimension reinbringen. Viele sagen dazu vielleicht, das ist zu zirkusartig. Aber das ist ja auch das Besondere am Fels, dass es über diese Skills des reinen quasi schweren Movens irgendwie hinausgeht.

Warum klettern Frauen anders als Männer?

Würdest Du sagen Frauen und Männer klettern anders?

Ja, auf jeden Fall.

Inwiefern?

Dass Frauen schon oft mehr Köpfchen einschalten. Das ist jetzt natürlich eine grobe Pauschalisierung, aber es ist schon so, dass Frauen oft andere Lösungen suchen müssen, weil sie aufgrund ihres Körperbaus häufig kleiner sind und eine geringere Spannweite haben. Und beim Klettern ist es so, dass du einen Vorteil hast, wenn deine Arme länger sind und von einem Griff zum anderen kommen. Deshalb muss man sich manchmal kreativere Lösungen einfallen lassen. Und irgendwie klettern Frauen oft weniger kraftbetont. Im Durchschnitt glaube ich schon, dass Männer dazu tendieren, sehr viel aus den Armen zu klettern und vieles mit Kraft zu kompensieren. Bei Frauen ist der Nachteil, dass sie gerade am Anfang oft kaum einen Klimmzug schaffen. Deshalb versuchen sie viel über Beweglichkeit oder mit technischen Komponenten weiter zu kommen.

Wenn wir jetzt weiter pauschalisieren: Gibt es auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen hinsichtlich der Preisgelder und des Sponsorings im Klettern?

Beim Wettkampfklettern haben wir schon immer die gleichen Preisgelder bekommen. Was ja schon ziemlich cool ist. Ich hoffe das bleibt so. Und beim Sponsoring ist es immer schwer zu sagen, weil es sehr individuell ist. Aber wenn man zum Beispiel als Athletin Mutter werden will, dann ist es sicher für Frauen ein sehr viel größerer Schritt.

Welche Auswirkungen hat Olympia auf den Klettersport?

Jetzt wird Klettern olympisch. Was, meinst Du, macht das mit dem Sport?

Es macht bestimmt etwas mit dem Sport. Es wird auf eine professionellere Ebene gehoben. Ich hoffe, dass das den Athleten den Benefit bringt, den sie verdienen. Derzeit können vielleicht die Top 5 vom Klettern leben und es professionell ausüben.

Durch die Olympiateilnahme kommen auch vom Staat sehr viel mehr Förderungen, nicht nur in Österreich, sondern in sehr vielen Ländern. Das ist sicher ein Vorteil, dass die Staaten mehr Geld für den Sport freimachen und dadurch die Verbände die Strukturen verbessern können. Das ist der große Vorteil. Der große Nachteil ist natürlich Olympia an sich. Es ist ja bekannt, dass Olympia nicht nur Prunk und Glitzer ist.

Glaubst Du es hat auch Auswirkungen auf Freizeit-Kletterer, also wird der Sport dadurch noch mehr boomen?

Es kann schon sein, dass dadurch die Reichweite vom Sport noch einmal größer wird. Ich finde Klettern ist ein Wahnsinnssport und ich brenne selbst total dafür und kann verstehen, dass alle Leute klettern wollen. Es ist sozial. Es ist spannend. Man lernt viel über sich selbst. Es sind so viele positive Aspekte dabei. Und wenn das jetzt eine größere mediale Aufmerksamkeit erfährt, kann es schon sein, dass es noch mehr wird und dann muss man schauen, wie es draußen ist.

Es ist schon auch ein Problem, das man ansprechen muss. Die Klettergärten oder Felsen dieser Welt wachsen nicht nach und auf die müssen wir aufpassen und nicht anfangen Blöcke wegzusprengen – wie im Zillertal, wo natürliche Ressourcen einfach zerstört werden. Man muss die Leute dafür sensibilisieren und noch einmal mehr die Aufmerksamkeit dafür schärfen, dass es draußen nicht zugehen kann wie in der Halle.

Auf der anderen Seite kann man niemandem verbieten nach draußen zu gehen. Es ist ein schmaler Grat. Es ist so lässig, wenn junge Leute wirklich Sport treiben und nicht daheimsitzen und vor dem Fernseher oder der Game-Konsole versumpfen.

In Großstädten wie beispielsweise München ist Bouldern ja gerade total im Trend. Was glaubst Du, wo geht das noch hin?

Ich glaube, dass viele gar nicht an den Fels gehen werden und Bouldern wie ein Fitnessstudio betreiben. Ein soziales, hippes Fitnessstudio, bei dem die Spaß-Komponente im Vordergrund steht. Und ich denke das ist auch in Ordnung.

Anna Stöhr klettert in Wand in Südtirol
Nach all den Jahren ist Anna Stöhr immer noch von der Vielseitigkeit des Klettersports fasziniert. | Foto: Salewa

„Das Schöne am Klettern ist, dass es so vielseitig ist“

Und was würdest Du jungen Kletterern raten, wenn die sagen, sie wollen auf jeden Fall in die Wettkampfrichtung gehen?

Ich würde ihnen raten, dass sie nicht vergessen sollen, wo das Klettern herkommt. Es muss jeder seinen eigenen Weg finden. Ich würde niemandem ein Rezept aufdrängen, aber ich kann nur sagen, dass es mir sehr viel gebracht hat, dass ich wirklich immer auch Zeit draußen verbracht habe.

Um auch die Vielseitigkeit des Klettersports genauer mitzubekommen?

Weil es so ein ganz anderer Sport wird, etwa im Vergleich zu Geräteturnen. Das kann man immer drinnen machen, aber sobald man mit dem Wettkampf aufhört, ist es in meinen Augen vorbei. Eventuell nicht mit dem Sport, vielleicht gehen Geräteturner danach genauso viel Geräteturnen. Aber das Schöne am Klettern ist, dass es so eine Vielseitigkeit und einen Facettenreichtum hat, den man in kaum einem anderen Sport findet.

Was fasziniert Dich nach all den Jahren immer noch am Klettern?

Die Vielseitigkeit ist schon das, was das Klettern für mich auszeichnet und warum ich so eine Leidenschaft dafür habe. Selbst als Weltmeisterin kann ich noch so viel davon lernen. Im Sommer bin ich die Ali Baba geklettert, eine 250 Meter hohe Wand, und für mich war das einfach komplett was anderes. Ich war es gewohnt an Boulderblöcken oder Sportkletterrouten rumzuhängen. Aber das ist einfach etwas Neues für mich und es war wirklich total spannend und ich habe so viel gelernt. Es war von der Schwierigkeit nichts Weltbewegendes oder was noch nie jemand vor mir geschafft hätte, aber für mich selbst war das einfach spannend und irgendwie cool, dass das Klettern mir noch so viele Herausforderungen bieten kann.

Und wo geht es jetzt für Dich in Zukunft hin?

Das ist immer schwierig zu sagen, was die Zukunft wirklich bringt. Ich hatte 2018 einen Bandscheibenvorfall und wollte in diesem Jahr unbedingt die WM starten. Da habe ich mir dann gedacht, dass ich das mit dem Planen sein lasse. Man weiß eh nie, was auf einen zu kommt. Es ist bei mir tatsächlich so, dass ich schaue, dass Klettern immer noch mein Beruf sein kann. Was es jetzt genau ist, ob Sportkletterrouten oder lange Sachen – ich werde jetzt sicher nicht das eine Kapitel zumachen und nur das andere machen, sondern es ist einfach diese Vielseitigkeit, die mich nach wie vor begeistert.

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