Seit mittlerweile fast vier Jahrzehnten ist adidas Five Ten einer der führenden Hersteller für Kletterschuhe und hat zahlreiche Schuhmodelle mit klingenden Namen produziert. Einer davon war der adidas Five Ten „Anasazi“, mit dem der legendäre Chris Sharma bereits 2001 die weltweit erste 9a+ („Realization“ in Ceüse) erstbegangen hat. Den Anasazi durfte ich 2017 für Bergzeit testen. Nun hat dieser Schuh eine Neuauflage bekommen und wurde in diesem Zuge gleich umgetauft: Herausgekommen ist der adidas Five Ten „Niad“. Was dieser Schuh kann und für welche Disziplinen des Klettersports er geeignet ist, soll in diesem Testbericht genauer unter die Lupe genommen werden.
adidas Five Ten Niad: Woher der Name kommt
Adidas hat sich gleich mit dem Namen des neuen Kletterschuhs großes vorgenommen und schreibt hierzu: „Der Niad ist nach dem legendären Testpiece ‚Nose in a Day‘ im Yosemite-Nationalpark benannt und wurde geschaffen, um Kletterer dabei zu unterstützen, auf Routen wie der berüchtigten „Nase“ des El Capitan über sich selbst hinauszuwachsen.“
Die besonderen Merkmale des Kletterschuhs Niad
Passform
Der adidas Five Ten Niad hat einen geraden (neutralen) Leisten. Das bedeutet, dass die Sohle fast symmetrisch gebaut ist und der Schuh keine gebogene Form hat. Manche Kletterschuhe haben eine sehr asymmetrische Passform und eine fast „bananenförmige“ Sohle. Der Niad bietet durch den geraden Leisten einen hohen Tragekomfort und ist eher für Klettersportler mit einer geraden (eher symmetrischen) Fußform geeignet. Im Vergleich zum Anasazi ist die Fußspitze etwas schmaler geschnitten. Der kleine Zeh wird etwas mehr an der Seite an den Schuh gedrückt. Für Kletterer mit breiteren Füßen oder längeren kleinen Zehen könnte dies bei zu kleiner Schuhgröße unangenehm werden.
Bene Hirschmann
Größenwahl
Der adidas Five Ten Niad fällt definitiv kleiner aus als der ehemalige Anasazi, dehnt sich aber nach einigen Klettertagen etwas. Daher empfehle ich zwei Herangehensweisen für die Wahl der Schuhgröße:
- Zum Bouldern und Sportklettern würde ich den Schuh eine ganze EU-Größe bis eineinhalb EU-Größen unter der Straßenschuhgröße wählen.
- Zum Alpinklettern und für das längere Anbehalten des Schuhs ist eine halbe bis ein ganze EU-Größe unter der Straßenschuhgröße sinnvoll.
Ein kleiner Tipp zum Hineinschlüpfen in anfangs sehr enge Kletterschuhe: Einfach ein Stück Plastikfolie auf die Ferse legen und diese wie einen Schuhlöffel benutzen. Damit gleitet der Fuß wesentlich leichter in den Schuh und die Anziehschlaufen bzw. Finger werden beim Anziehen nicht allzu sehr strapaziert. Die Folie kann beim Klettern im Schuh bleiben und stört dort nicht weiter.
Sohle und Gummi
Der gesamte Schuh verfügt über eine Stealth C4 Gummiaußensohle. Diese Gummimischung zählt zu den altbewährtesten und reibungsstärksten weltweit. Die mittelsteife Zwischensohle fühlt sich etwas härter an als beim Anasazi, passt sich aber durch ein ausreichendes Mit-Biegen dennoch gut an die jeweilige Tritt-Situation an. Der Niad hat keinen Downturn, ist also in der Seitenansicht nicht gebogen. Dies ermöglicht den Einsatz der ganzen vorderen Sohle auf Reibungstritten. Die Vorspannung des Schuhs bewegt sich im mittleren Bereich, wobei die Kraft von der Ferse aus immer optimal über den Schuh auf die Spitze übertragen wird und ein sensibles Treten stets möglich ist.
Bene Hirschmann
Bene Hirschmann
Zehen- und Fersenbereich
Eine absolute Neuerung gegenüber dem Anasazi ist die bis auf den Zehenbereich hochgezogene Gummiaußensohle. Dadurch entsteht ein vielseitig anwendbarer Toehook-Bereich aus Gummi, der seine Vorteile vor allem beim Bouldern ausspielt. Die rundum gummierte Ferse besteht aus zwei übereinander lagernden Gummischichten, die eine auf Heelhooks angepasste Gummilippe bilden. Diese macht ein Hooken auf kleinsten Unebenheiten möglich.
Zusätzlich befinden sich zwei dehnbare Schlitze im Fersengummi, welche die Spannung auf der Ferse durch ein Aufdehnen der Schlitze genau an die richtige Stelle biegen. Neu ist hier auch das Design der Fersenkappe: Diese legt sich sehr angenehm auf die Achillessehne und es gibt kein Einschneiden bzw. Drücken des hinteren Schuhrandes auf die Sehne und die Haut. Ich sehe hier vor allem ein großes Plus beim Alpinklettern, wo man die Schuhe über längere Zeit anbehält.
Bene Hirschmann
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Obermaterial
Das Synthetik-Obermaterial mit leichtem Stretch gibt dem Fuß die Möglichkeit, sich genau in den Kletterschuh einzupassen und sorgt für ein schweißfreies und atmungsaktives Tragen. Das Material dehnt sich mit der Zeit leicht, sodass sich ein anfangs eventuell als eng empfundener Schuh nach einigen Klettertagen perfekt tragen lässt.
Verschluss
Der Niad ist sowohl mit Klettverschluss (VSC oder „Velcro“) als auch in der Version als Schnürschuh erhältlich. Getestet wurde hier der Niad VCS mit zwei Klettverschlüssen und zwei gepolsterten Laschen. Die Höhe des Mittelfußknochens schränkt die Schuhauswahl nicht ein, da der Velcro-Verschluss mit den darunterliegenden Polstern eine beliebige Höhe des Fußes zulässt.
Der Niad von adidas Five Ten im Praxistest
Bei einem Kletterschuh wird das Gefühl beim Antreten auf kleinen oder abschüssigen Tritten immer durch die Spannung bestimmt, die sich beim Treten von der Ferse bis zur Fußspitze bildet. Adidas beschreibt diesen Vorgang beim Niad wie folgt: „Die Spannung der Ferse konzentriert die Kraft im Vorfußbereich für einen sicheren Stand selbst auf winzigen Tritten.“ Dies kann ich so unterschreiben. Beim Steigen auf kleinen Tritten fühlt man richtig den Druck, der über den Schuh auf den Tritt gebracht wird. Das Feingefühl ist also jederzeit gegeben. Ein guter Kletterschuh zeichnet sich dadurch aus, dass man den Tritt – sei es in der Halle oder am Fels – genau unter der Fußspitze fühlt und dadurch genau beurteilen kann, wie der Tritt belastet werden muss. Diese Voraussetzung ist beim adidas Five Ten Niad absolut erfüllt und man kann jeden Tritt mit 100 Prozent Gefühl ansteigen. Der Zehenbereich wird beim Steigen auf kleinen Tritten mit einem angenehmen Druck automatisch in Richtung Spitze geführt und liegt somit genau am Schwerpunkt der Tritt-Aktion.
Bene Hirschmann
Auch beim Klettern im Überhang, wo häufig kleine Tritte durch Spannung über die Fußspitze fixiert werden müssen, entfaltet der Niad seine Qualitäten. Häufig argumentieren starke Kletterer, dass man in überhängenden Routen oder Bouldern mit einem starken Downturn aufgrund des besseren „Zuges“ an der Fußspitze besser bedient sei. Meine Erfahrung kann dies allerdings in 95% aller Fälle widerlegen: Kein Downturn dieser Welt macht dich zu einem besseren Kletterer im Überhang. Wer Probleme mit dem Belasten von kleinen Tritten in steilen Routen oder Bouldern hat, hat zu wenig Körperspannung. Wer sich von einem Downturn die hilfreichen „Saugnäpfe an den Füßen“ erwartet, löst damit nicht das eigentliche Problem und sollte mit Tipps zum Ausbau der Spannung im unteren Rücken und im Bauch besser beraten sein. Der adidas Five Ten Niad ist dafür ausgelegt, mit einer ausgereiften Körperspannung und einer guten Technik an steile Projekte heranzugehen. Er hält perfekt auf kleinen Tritten, aber hilft dir nicht auf Anhieb, ein besserer Kletterer zu werden. Ein ehrlicher Schuh also, der – wie ein gutes Rennauto – zuerst verstanden werden will und dann seine volle Leistungsfähigkeit entfaltet.
Der Niad im Vergleich zum Anasazi
Große Reibungsfläche durch reduzierten Downturn
Bene Hirschmann
Oft besteht bei stark vorgespannten Schuhen mit Downturn das Problem darin, dass nur durch die vorderste Schuhspitze Druck auf den Tritt gebracht werden kann. Das ist oft fatal, wenn es darum geht, großflächig auf Reibung anzutreten. Selbst im Weltcup kommt es vor, dass Kletterer mit Downturn-Schuhen von Reibungstritten abrutschen, weil sie zu wenig Fläche auf den Tritt bringen.
Wer hingegen mit dem adidas Five Ten Niad auf Reibung antritt, hat die komplette Schuhspitze und zusätzlich den Bereich des Ballens zur Verfügung, um Reibungstritte zu belasten. Der fehlende Downturn erweist sich bei diesem Schuh als einer der größten Vorteile und hat mir stets über Reibungsplatten und abschüssige Tritte hinweggeholfen. Sei es in der Halle beim Steigen auf Volumen bzw. an der blanken Wand oder am Fels beim Treten auf Reibung – das sichere und gute Gefühl, den Tritt nie zu verlieren, war immer da.
Was also schon beim adidas Five Ten Anasazi der größte Pluspunkt war, nämlich die volle Nutzbarkeit des Gummibereichs der Vordersohle beim Reibungstreten, wurde beim Niad beibehalten. Es kann also weiterhin guten Gefühls in Reibungsklettereien eingestiegen werden.
Dickerer Gummi an der Schuhspitze für noch bessere Haftung
Neu beim Niad ist außerdem die erweiterte Gummikante, mit der angetreten wird. Die Kante bildet den Abschluss der an der Spitze ca. 1 cm dicken Sohle. Belastet man einen Tritt, dann wird die Kante an der Schuhspitze nach vorne geknickt und biegt sich dadurch genau an die Stelle, wo der Gummi am besten am Tritt haften kann. Auf den ersten Blick (und gerade wenn man den „alten“ Anasazi gewohnt ist) mag dies anfangs etwas verunsichern, da die aufgebogene Kante bei manchen Kletterern den optischen Eindruck erwecken mag, dass man nur auf einer schmalen Gummilippe steht. In Wirklichkeit zählt diese Erscheinung jedoch zum neuen ausgereiften Sohlendesign des adidas Five Ten Niad. Er hält beim Treten alles, was Five Ten verspricht. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase (mit anfangs einem etwas verunsichert prüfenden Blick nach unten auf die sich bildende aufgebogene Kante an der Schuhspitze) konnte ich beim Test am Fels und in der Halle jedoch das absolute Vertrauen in den Schuh aufbauen und mich davon überzeugen, dass die Trittkante des Niad absolut zuverlässig funktioniert. Außerdem hat sich gezeigt, dass beim Antreten die vorderste Schuhspitze besonders feinfühlig agiert.
Ein kleiner Tipp noch zur Pflege der Schuhspitze des adidas Five Ten Niad: Die Erfahrung hat gezeigt, dass es oft vorteilhaft ist, die scharfe Kante der „Antret-Zone“ mit einer feinen Raspel etwas abzurunden. Doch Vorsicht: Die Rede ist hier nicht vom Zerstören der halben Gummikante, sondern lediglich vom Entgraten des äußersten Kantenrandes. Diese biegt sich nämlich auf kleinen Tritten gerne etwas auf, sodass man nicht optimal steht. Kleine, abstehende Gummiränder an der Kante der Schuhspitze entstehen während der Produktion (beim Zusammenkleben der Schuhspitze) sozusagen „ganz natürlich“. Wer eine optimale Trittperformance im High End-Bereich wünscht, dem sei das Abfeilen bzw. Entgraten der minimal überstehenden Gummikante ans Herz gelegt.
Gummierter Toe-Hook-Bereich
Durch den gummierten Oberflächenbereich der Schuhspitze lassen sich Toehooks mit dem adidas Five Ten Niad professionell bewerkstelligen. Ein Manko des damaligen Anasazi, nämlich der etwas glatte Toe-Hook-Bereich aus Leder, wurde nun durch den Niad behoben. Heelhooks sind wie bereits gesagt durch die Gummilippe an der Ferse und den durch Schlitze dehnbaren Fersenbereich in variablen Situationen problemlos möglich.
Bene Hirschmann
Testfazit zum Kletterschuh Niad von adidas Five Ten
Die Stärken und Schwächen des Niad habe ich untenstehend für Dich zusammengefasst. Übrigens: Den Schuh gibt’s nicht nur, wie von mir getestet, mit Klettverschluss, sondern auch in der Lace-Version.
Pro:
- Große Trittfläche auf Reibungstritten durch geringen Downturn
- Beste Haftung der Sohle durch den legendären Stealth C4 – Gummi
- Neuer gummierter Toehook-Bereich anstatt einer Leder-Oberfläche
- Durch die natürliche Spannung des Schuhs ist ein sehr feinfühliges Antreten möglich und man hat immer das Gefühl, den Tritt unter Kontrolle zu haben.
Contra:
- Beim Umstieg vom Anasazi auf den Niad muss das Vertrauen in die neu designte Kante an der Schuhspitze eventuell erst aufgebaut werden, da diese dicker ist und dadurch etwas biegbarer.
- Der Schuh ist für Kletterer mit breiten Füßen an der Spitze eventuell etwas schmal geschnitten.