Bei dem einen wird es von Jahr zu Jahr kürzer bis irgendwann ein dicker und zerfranster Strick aus der Tasche gezogen wird und der Seilpartner kopfschüttelnd das Sichern ablehnt, bei dem anderen geht das Seil schon nach wenigen harten Stürzen in den Ruhestand. Bevor wir deshalb zum Test des neuen Swift Protect Pro Dry von Edelrid kommen, schaffen wir erst einmal ein wenig Klarheit zum Thema Seil.
Worauf kommt es beim Kletterseil an?
Das moderne Kletterseil besteht nicht mehr aus Hanffasern wie in den 1960er-Jahren, sondern aus Polyamid und ist um Welten strapazierfähiger. Genauer gesagt hat die Firma Edelrid das Kernmantelseil 1953 erfunden – das ist bis heute der Industriestandart für alle Bergseile. Der Mantel dient dabei als Schutz gegen Abrieb, Feuchtigkeit und UV-Strahlung für den Kern, welcher aus Polyamid Strängen besteht.
Chiara Hanke
Seile werden grundsätzlich aufgrund ihrer Dehnbarkeit unterschieden. Das heißt in dynamische Seile und statische Seile. Beim Sportklettern sowie Alpinklettern wird ein dynamisches Seil benutzt, das durch seine Dehnbarkeit bei einem Sturz Energie aufnehmen kann. Also auf keinen Fall beim Baumarkt ein paar Meter Strick mitnehmen, da er grad so günstig war und wie ein Seil aussieht.
Damit man auch bei jedem Kletterseil sicher sein kann, dass es den Anforderungen entspricht, schließlich vertraut man dem guten Stück sein Leben an, unterliegt es strengen Normen wie der EN 892 und muss gewisse Anforderungen erfüllen.
Aramid macht Kletterseile schnittfester
Der wohl etabliertesten Firma im Bereich Seile, Edelrid aus dem sonnigen Allgäu, geht das Thema Sicherheit und Materialbeständigkeit von Kletterseilen auch nicht aus dem Kopf. Deshalb haben sie ihre Köpfe zusammengesteckt und sind auf die Idee gekommen Aramidfasern in das Kletterseil hineinzuflechten, um so dem aus Polyamidfasern bestehenden Kletterseil einen Schnittschutz zu verleihen.
Aber warum ein Schnittschutz, ich habe ja schließlich nicht vor mein Seil zu zerschneiden? Tatsächlich gibt es bei Kletterseilen keine, also wirklich fast keine Möglichkeit, das ein Kletterseil reißt. Die Umstände, die für ein Kletterseil und damit natürlich für den Kletterer gefährlich werden können, sind Säure, Schmelzverbrennung, Steinschlag und Kantenbelastungen. Letzteres ist tatsächlich ein größeres Problem, denn Pendelbewegungen wie z.B. beim Ablassen oder Abseilen über eine Kante, und diese muss noch nicht einmal scharf sein, wird das Seil regelrecht zerschnitten bzw. zersägt.
Chiara Hanke
Klingt relativ simpel, einfach ein paar Aramidfasern einflechten und schon haben wir ein mega stabiles und schnittfestes Seil. Nein, ganz so einfach ist es natürlich nicht. Denn wie oben schon gelernt, wird bei einem Kletterseil vor allem der Dehnungsfaktor so hochgeschätzt. Strapazierfähiges Material wie Aramid weist eine hohe Materialstatik auf und arbeitet so der Dehnungsfähigkeit des Polyamid entgegen. Die Kunst war es, laut Edelrid, die Aramid Fasern zusammen mit den Polyamidfasern so abzustimmen, dass ein Seil mit einer hohen Schnittfestigkeit entsteht, das aber auch den Ansprüchen und Normen eines dynamischen Bergseils entspricht.
Das Edelrid Swift Protect Pro im Test
Das schmucke Stück erst einmal aus der Verpackung genommen, schwant einem gleich der wohl kommende Seilsalat beim klassischen Erstaufnehmen eines neuen Seils. Damit ich diese Nerven nicht gleich am Felsen lasse, entschloss ich mich das Seil schon einmal vorab aufzunehmen.
Ganz erstaunt wurde ich aber von einem kleinem Hinweis-Schildchen darauf aufmerksam gemacht, dass das Seil auf eine ganz bestimmte Art und Weise der Verpackung zu entnehmen sei. Also den Anweisungen gefolgt und siehe da, das Seil ließ sich ohne Knoten, Schlaufungen oder extremen Kringeln ganz easy aus der Verpackung entnehmen.
Kurz recherchiert und schon hatte ich die Antwort: 3D-Lapcoiling. Das Seil wird mit einer speziellen Seilaufwickel-Maschine schon bei Edelrid perfekt aufgenommen und man kann sich direkt noch an der Originalverpackung einbinden und losklettern. Genial!
Was natürlich noch direkt auffällt ist eine gewisse Steifigkeit im Material im Vergleich zu herkömmlichen Kletterseilen. Was mir bereits jetzt positiv auffällt: Nach mehrmaligem Einbinden und kleinen Stürzen, ist das Seil noch nicht steifer geworden und behält seine ursprüngliche Steifigkeit. Die 8,9 Millimeter sind natürlich beim Sichern leicht zu handeln und gleiten sehr gut durch verschiedenste Sicherungsgeräte. Aber Vorsicht, überprüft ob euer Sicherungsgerät dafür auch geeignet ist!
Insgesamt habe ich das Seil inzwischen knapp drei Monate im fast täglichen Gebrauch gehabt und ungelogen noch kein einziges Mal am Seilanfang abschneiden müssen. Das ist tatsächlich ein sehr überzeugendes Ergebnis. Im Einsatz war es vor allem am Fels und wurde auch dort schonungslos kleinen Regengüssen ausgesetzt. Hierbei fiel direkt auf, dass der sonst stark haftenbleibende Schlamm oder Staub am Wandfuß hier kaum am Seil hängen blieb.
„Mein persönlicher Geheimtipp für all diejenigen, die Ihr Seil besonders lange haben wollen oder sehr stark in Anspruch nehmen.“
Obwohl ich natürlich bisher deutlich weichere Seile gewohnt bin, überzeugt dennoch die Dehnbarkeit bzw. gefühlte „Weichheit“ bei einem Sturz in das Seil. Deswegen ist das Edelrid Swift Protect Pro mein persönlicher Geheimtipp für all diejenigen, die Ihr Seil besonders lange haben wollen oder sehr stark in Anspruch nehmen.
Das Seil ist erhältlich in den Längen 30, 40, 50, 60, 70, 200 Meter, wiegt 53 Gramm pro Meter und hat einen Durchmesser von 8,9 mm. Damit ist das Seil den Leichtgewichten zuzuordnen. Die Herstellung ist bluesign zertifiziert.
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Packliste
Grundausrüstung fürs Klettern
- Kletterschuhe
- Kletterseil
- Hallenklettern: mindestens 40 Meter
- Sportklettern: mindestens 60 Meter