Das Gurtzeug knarrt hörbar, als sich Hans prüfend mit seinem ganzen Gewicht hineinsetzt und ich spüre, wie die Vorfreude in mir einen Sprung macht. Er hat sich in die Tyrolienne eingehängt, die fulminante Eröffnung des Hexensteiges am Pfaffenberg, jauchzt und nimmt einen Satz hinaus über den Abgrund. Gekonnt zieht er sich auf die andere Seite. Wir anderen beiden folgen, wir sind heute zu dritt unterwegs und können es kaum erwarten.
Einzigartig: Verlauf im Inneren des Berges
Die Tyrolienne eröffnet die wunderbare Tour, welche uns über rund 100 Höhenmeter nach oben führen wird. Über geschätzte zehn Meter überspannt das Tragseil einen schräg abfallenden und immer tiefer werdenden Felsabgrund. Das Faszinierende am Hexensteig ist, dass er fast vollständig im Berginneren verläuft. Im Zickzack folgen wir der Felsspalte hinauf und fühlen uns bisweilen wie auf einer Höhlenforschungsmission.
Verwinkelt und zerklüftet ist das Gestein, Lichtkegel fallen von oben herab, Rinnsale suchen sich den Weg in die Tiefe. Dann öffnet sich plötzlich wieder der Blick zwischen dem Gestein hinaus über das mächtige und weite Tal und wir erspähen in der Ferne die verschiedenen wolkenverhangenen Berggipfel der umliegenden Urner Alpen. Nur noch ein leises Rauschen dringt von der tief im Tal liegenden Autobahn bis hier hinauf und es zieht ein feiner Wind an der Felswand entlang.
Mittlere Schwierigkeit dank gutem Ausbau
Der im Juli 2002 eröffnete Hexensteig ist in Sachen Schwierigkeitsgrad unterschiedlich eingestuft – je nach Quelle. Was den Steig neben dem erwähnten Verlauf im Berginneren zusätzlich attraktiv macht (jedenfalls für unseren Geschmack), ist, dass er gut ausgebaut ist. Das Sicherungsseil ist von A bis Z straff gespannt und bietet besten Halt, wenn Du danach greifst.
Die senkrechten Passagen, von denen es mehrere gibt und die erste und längste gleich nach der Tyrolienne wartet, sind mit ausreichend Eisen versehen und auf großen Teilen des Zickzack-Kurses gehst Du auf stabil verbauten Baumstämmen. Einzig in der Mitte gibt es eine Passage, an welcher der nächste Griff etwas weiter entfernt liegt.
Das alles lässt mich zum Schluss kommen, dass die Schwierigkeit irgendwo im Mittelfeld einzuordnen ist. Als Klettersteig-Debut ist der Hexensteig wohl nicht prädestiniert, aber für fortgeschrittene Anfänger, die bereits Erfahrung mit dem ein oder anderen Klettersteig haben, ist er auf alle Fälle gut zu meistern.
Eine Pausenbank, die Dich vom Hocker haut
Nach ungefähr zwei Dritteln der Strecke erreichen wir, was uns als absolutes Highlight in Erinnerung bleiben wird. Man muss nicht, aber man kann sich hier hinaus begeben auf die Pausenbank, die an den fast senkrecht abfallenden Felsen angebracht ist.
Alle drei balancieren wir also nacheinander hinaus und setzen uns auf den der Länge entlang gehälfteten Baumstamm, der eine vielleicht 50 bis 60 Zentimeter breite Sitzfläche bietet und uns zu dritt nebeneinander gut beherbergen kann. Vor uns erstreckt sich ein absolut phänomenales Freiluftpanorama, das wir gierig einsaugen. Weit in der Tiefe sehen wir, wie sich Berggänger den steilen Hang zum Einstieg emporkämpfen und ich kann es mir nicht verkneifen, die Hände zu einem Trichter zu formen einen kräftigen Jodler erschallen zu lassen. Viel zu früh, wie wir finden, erreichen wir kurz nach der Sitzbank bereits den Ausstieg. Als wir uns ins Gipfelbuch eintragen, zieht der Nebel schnell und mit viel Entschlossenheit die Berghänge empor.
Das Abenteuer beginnt in der Freiluftseilbahn
Die kleine Seilbahnkabine in Silenen bietet Platz für maximal vier Personen und die rund zehnminütige Fahrt hinauf zum 1160 Meter über Meer gelegenen Chilchberge ist bereits ein Abenteuer für sich. Von Chilchberge folgt ein rund ein- bis vielleicht maximal eineinhalbstündiger und ziemlich steiler Aufstieg auf 1670 Meter, wo der Einstieg zum Steig mit einem gut sichtbaren Schild signalisiert ist. Der Abstieg nach dem Steig über ca. 610 Höhenmeter nimmt rund eine Stunde in Anspruch. Die gesamte Tour dauert ca. 3 bis 4 Stunden. Obwohl er Steig selbst nur kurz ist, punktet er mit seiner Einzigartigkeit und der absolut hammermäßigen Aussicht, welche Du nicht nur am Steig, sondern auf der gesamten Route genießen kannst.
Das Wichtigste in Kürze:
- Start: Seilban Chilberge in Silenen bis Chilchberge
- Zustieg: ca. 60 bis 80 Minuten wandern (Schwierigkeit T3)
- Steig: ca. 60 bis 80 Minuten
- Abstieg: ca. 60 Minuten wandern (Schwierigkeit T3)
- Gesamtzeit: 3 bis 4 Stunden
- Schwierigkeit: K3 (C), Stellenweise K4 (D)