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Als ich gefragt wurde, ob ich den Inov-8 Terraultra G-Grip 270 testen wolle, war ich sofort Feuer und Flamme. Das hat einen Grund: Ich besitze mit dem 260er das Vorgängermodell und bin diesen sehr gerne gelaufen. Gerade bei der Neuauflage eines Schuhs, der mit mir viele hundert Kilometer gelaufen ist, interessiert mich: Was wurde geändert? Und sind diese Änderungen sinnvoll? Denn nicht jeder Nachfolger ist automatisch besser, Stichwort Verschlimmbesserung. Andererseits, so gerne ich den 260er mag, er hatte seine Schwächen und ich bin gespannt, ob der Terraultra G-Grip 270 diese ausmerzen kann.
World toughest Grip – der Terraultra G-Grip 270 im Überblick
Da ich nicht davon ausgehe, dass jeder, der sich für das neue Aushängeschild der britischen Laufschuhschmiede Inov-8 interessiert, bereits den Vorgänger im Regal stehen hat, möchte ich den G-Grip 270 erstmal eigenständig für sich betrachten, werde aber auch Vergleiche zu seinem Ahnen ziehen.
Zuallererst bin ich froh, dass der Schuh sein giftiges Grün behalten hat. Auch wenn das Geschmacksache ist: Ich mag es, wenn meine Laufschuhe leuchten. Ansonsten erkennt man gleich, dass er aus der Terraultra-Familie stammt, wobei er mir ein kleines bisschen weniger klobig vorkommt. Als ich beide zum Vergleich in der Hand habe, kommt mir der Neue sogar etwas leichter vor, auch wenn er tatsächlich nachgewogen 20 Gramm mehr pro Paar hat.
Passform und Komfort
Der Terraultra G270 fällt normal aus und Du kannst ihn in der Größe bestellen, in der Du normalerweise Deine Laufschuhe kaufst. Was auffällt, ist die breite Zehenbox, die Dir entgegenkommt, wenn Du einen eher breiten Fuß hast. Auch wenn Du gerne lange Strecken zurücklegst, ist der Platz sehr angenehm, damit sich Dein Fuß weiten kann.
Über die Schnürung gelingt es, den Schuh stabil um den Mittelfuß herumzuziehen, die Zunge ist flach und übergangslos in den Oberstoff eingenäht, damit es nicht zu Druckstellen kommt. Das Obermaterial macht generell einen sehr robusten Eindruck, ist aber nicht zu starr. Ich bin gespannt, ob es genug Luft ins Innere lässt, damit ich nicht im eigenen Schweiß stehe.
G für Graphene
Jeder Laufschuh funktioniert so gut wie seine Sohle und gerade hier brüstet sich Inov-8 mit einem Material, das den World toughest Grip verspricht. Die Rede ist von Graphene. Das Material wurde bereits im Jahr 1555 erstmals abgebaut, bis 2004 dauerte es, bis die Wissenschaftler der Universität von Manchester Graphene isolieren konnten, wofür sie 2010 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Inov-8 war und ist der erste Schuhfabrikant, der das Material auf seine Sohlen legt.
Was macht Graphene so besonders? Es braucht nur eine unglaublich dünne Lage davon, denn es ist 200 Mal stärker als Stahl. Dadurch hast Du eine extrem belastbare Sohle, die massig Kilometer fressen kann, die dabei aber äußerst leicht bleibt. ASTM und ISO-Standard Tests zeigen, dass die Graphene-Sohle 50 Prozent belastbarer und abriebfester ist als normale Sohlen. Aber nicht nur das, sie ist auch 50 Prozent elastischer, was die ganze Sohle sehr flexibel macht. Wenn Du einen Schuh suchst, in den Du viele Laufstunden stecken kannst, dann bist Du beim Terraultra richtig.
Neu beim G-Grip 270 sind die Drainagekanäle, die Dir bei feuchtem Untergrund mehr Halt geben sollen. Außerdem wurde das Profil der Außensohle deutlich aggressiver gestaltet, um zusammen mit dem Graphene für noch besseren Halt zu sorgen. Neu ist auch die Powerflow Max Midsohle, die besser dämpft und mehr Bounce hat, Dir also mehr Aufprallenergie zurückgibt – so zumindest wird sie beworben. Geblieben ist die 0 mm Sprengung, worüber ich mich sehr freue.
Einsatzgebiet: Einer für alles
Der Terraultra G-Grip270 möchte so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau sein; der Schuh, neben dem Du nicht zwingend noch einen zweiten oder dritten Laufschuh brauchst. Wenn so ein Schuh gut umgesetzt ist, erwische ich mich dabei, mit ihm auch meine meisten Kilometer abzuspulen.
Viele meiner Läufe beginnen vor der Haustür oder auf einem Parkplatz, von dort geht es über Asphalt auf Feldwege, dann folgt ein kleiner Trail, bevor ich über eine Forststraße wieder auf einen Trail komme. Zurück ist das dann mehr oder weniger das gleiche Prozedere. Für solche Runden brauche ich keinen reinrassigen Trailschuh, genaugenommen nutzt sich bei einem solchen durch die Asphalt- und Feldwegstrecken die Sohle unheimlich schnell ab. Ein Straßenlaufschuh versagt dagegen auf den Trails – was ich brauche, ist also einen echten Allrounder. Vorhang auf für den Terraultra G-Grip 270.
Hält der Terraultra G-Grip 270, was er verspricht?
Als ich den Schuh bekomme, steht eigentlich ein wohlverdienter Ruhetag an. Der war dann schnell gestrichen, zumindest für eine kleine Runde wollte ich das giftgrüne Versprechen sofort ausführen. Wie ich es bei Inov-8 gewohnt bin, taugt mir die Passform von Anfang an. Beim Loslaufen hatte ich noch Bedenken wegen einer Knickfalte, aber das Material ist geschmeidig und weich genug, die kleine Druckstelle war nach wenigen Kilometern komplett verschwunden und hat mich fortan auch nie wieder behelligt. Bei unserem ersten Date hat es sofort gefunkt und ich wäre gerne noch eine Extra-Schleife gelaufen. Stattdessen verabredeten wir uns für einen richtig schön langen Lauf am Wochenende.
Das Ultra trägt der Terraultra nicht umsonst im Namen. Der Inov-8 Athlet Damian Hall ist in dem Schuh einen neuen FKT (Fastest Known Time) auf dem Pennine Way (ein 431,3 km langer National Trail in England) gelaufen und hat den G-Grip 270 dabei 61 Stunden und 34 Minuten am Fuß gehabt. Ja, der Terraultra möchte auch und gerade auf der ganz langen Distanz ganz vorne mitspielen. Mein 50 km Testlauf von Lenggries an den Tegernsee und wieder zurück nimmt sich dagegen sehr bescheiden heraus, doch genug, um den Schuh auf Herz und Nieren zu testen. Die Testbedingungen sind ideal, der Boden ist vielerorts noch schlammig und nass, der Tag selbst ist heiß und das Gelände sehr abwechslungsreich.
Ein neuer Stern am Laufschuhhimmel?
Inov-8 hat es geschafft, aus einem Schuh, den ich sehr gern mochte, einen Schuh zu machen, den ich liebe. Vielleicht würde diese Aussage die Frage bereits beantworten und das Fazit abschließen, aber lass mich Dir erklären, warum ich so denke.
Wie bereits beschrieben, hat mir die Passform des Terraultra G-Grip 270 auf Anhieb gefallen und gerade auf den langen Läufen bin ich froh über den Platz in der Zehenbox. Dazu bietet mir die Sohle einen klasse Groundfeel. Durch die fehlende Sprengung und weil der Schuh nicht übermäßig fett gepolstert ist, behalte ich in ihm ein gutes Gespür für das Terrain, auf dem ich laufe. Das ist sicherlich nicht jedermanns Sache und wenn Du ein dickes Kissen mit viel Sprengung gewohnt bist, wirst Du vielleicht etwas Umstellungszeit brauchen, wirst dafür aber mit einem natürlicheren Laufgefühl belohnt. Trotzdem ist der Terraultra weit davon entfernt, ein Barfußschuh zu sein, er bietet mit der neuen Midsohle genug Polsterung, um auch auf langen Strecken bequem zu bleiben und hat tatsächlich einen schönen Bounce.
Aber was ist jetzt mit der Graphene-Außensohle? Das ausgeprägtere Profil kommt der Sohle definitiv zugute und sorgt für besseren Halt in schlammigem Geläuf. Auf Steinen, Wurzeln und in steilen Passagen findet das Graphene-Material guten Grip und gibt mir dadurch einen stabilen Auftritt und ein sicheres Gefühl. Bis zum Testbericht habe ich ca. 300 Kilometer in den Schuh gelaufen, darunter auch Strecken über Asphalt und steinige Feldwege – von Abnutzung keine Spur. Damit wird die G-Grip Sohle mit dem Graphene-Material der Erwartung, die ich an einen All-Terrain-Allrounder und Kilometerfresser stelle, voll und ganz gerecht. Lediglich auf matschigen Downhillstrecken mit nassen Wurzeln oder Steinen kam der Terraultra etwas ins Schlingern und ich musste Tempo rausnehmen. Aber genau für solche Einsätze hat Inov-8 mit dem Mudclaw G-Grip 260 oder dem X-Talon G-Grip 210 bzw. 235 ja auch seine Spezialisten im Sortiment.
Einziges Wermutströpfchen beim Komfort auf langen Strecken: Oberhalb vom Spann, direkt am Knöchel hätte die Zunge ein klein wenig mehr Polsterung vertragen können. Wenn Du den Schuh extrem eng an den Fuß schnüren willst, schneiden die Senkel hier ein.
Vergleich mit dem Vorgänger
Wie bereits erwähnt, den 260er bin ich wirklich gerne gelaufen, auch wenn ein paar Dinge nicht ganz optimal waren. Mit Freude habe ich festgestellt, dass Inov-8 sich genau diese Punkte vorgenommen hat, ohne das Prinzip und die Idee des Schuhs zu verändern. Alles was ich beim Vorgänger mochte, ist dem G-Grip 270 erhalten geblieben: Die null Millimeter Sprengung, das Gefühl für den Untergrund, die robuste, abriebfeste Sohle, die generelle Passform, das robuste, aber trotzdem angenehm dampfdurchlässige Obermaterial (und das giftige Grün).
Die Änderungen sind marginal, tragen aber zu einem noch besseren Gesamtkonzept bei. So ist die Zunge im Übergang zum Oberstoff deutlich flacher und direkt mit diesem verbunden. Zusammen mit der verbesserten Schnürung kann ich mir den Schuh stabiler an den Fuß holen, es kommt aber zu keiner Druckstelle mehr an der Übergangsstelle zwischen Upper und Zunge. Die nächste, deutlichere Veränderung ist das aggressivere Stollenprofil mit Drainagekanälen. Dadurch hat der Terraultra einiges an Trailkompetenz dazugewonnen, gerade wenn Dein Lauf Dich über schlammige Böden und technischeres Terrain führt. Auch habe ich den Eindruck, dass der Neue einen My schmäler geschnitten ist, dabei immer noch genug Platz für die Zehen bietet, aber etwas direkter wird.
Gerade wenn ich beide Schuhe im Vergleich laufe, merke ich auch, dass die Midsohle einiges an Kraft gewonnen hat. Die 3 mm dickere Polsterung ist gerade auf langen Strecken ein echtes Komfort-Plus und trotz besserer Dämpfung schluckt der 270er weniger Energie. Mehr Komfort bei gleichem, natürlichem Laufgefühl mit mehr Bounce, was will man mehr?
Fazit und Empfehlung
Wenn Du ein echtes Trailbiest erwartest, dann ist der Terraultra G-Grip 270 sicher nicht Deine erste Wahl. Aber diesen Anspruch hat der Schuh auch nicht. Dagegen bekommst Du einen Allrounder, der seine Stärken in wechselhaftem Terrain gekonnt ausspielt. In dem Schuh kannst Du Hunderte von Trainingskilometern abspulen und dann auch gleich noch bei Deinem nächsten Ultramarathon an den Start gehen.
Neben all den spezialisierten Laufschuhen ist der Terraultra G-Grip 270 das Teil, zu dem Du immer wieder greifen wirst, denn mit ihm deckst Du ein breites Gebiet ab. Außerdem ist er wohl einer der belastbarsten Laufschuhe weltweit und liefert Dir eine ganze Menge Kilometer für seinen Preis. Auch wenn Du viel gemischtes Terrain läufst, gerne auch mal eine Runde in den Bergen drehst, dann aber auch wieder viel auf Feldwegen und kleinen Trails in der Nachbarschaft unterwegs bist, erlaubt Dir der Terraultra, mit nur einem einzigen Laufschuh auszukommen.
Was mir besonders gut gefällt, ist das natürliche Laufgefühl und der hohe Komfort des G-Grip 270, weshalb ich auch jedes Mal reflexartig zu dem grünen Giftzwerg von Inov-8 greife, wenn eine lange Trainingsrunde ansteht. Und warum auch nicht? Trotz alldem, was ich dem Schuh zumute, wird er die meisten anderen Laufschuhe in meinem Regal mit Sicherheit überleben. Der Terraultra kommt dem, was ich unter der eierlegenden Wollmilchsau verstehe, so nah wie kein anderer Laufschuh zuvor.
Vor- und Nachteile auf einen Blick
Pros:
- All-Terrain-Allrounder par excellence
- Sehr belastbar, abriebfeste Graphene-Sohle
- Mehr Trailkompetenz im Vergleich zum Vorgänger
- Bequeme Passform mit breiter Zehenbox
- Natürliches Laufgefühl
- Dennoch gut gedämpfte Midsohle mit viel Bounce
- Keine Sprengung
- Robuster, dabei aber atmungsaktiver Oberstoff
Cons:
- Kein Trailbiest – kommt auf nassen, schlammigen Downhills in Schlingern
- Zunge hätte am Knöchel etwas mehr Polsterung vertragen können
Der Terraultra G-Grip 270 ist aktuell leider nicht verfügbar, hier findest Du passende Alternativen: