Der bodenständige 39-jährige Pro-Snowboarder fährt nicht nur seit 20 Jahren die krassesten Linien überall auf dem Globus, sondern macht sich auch Gedanken. Sein Name steht für Big Mountain Snowboarding und gleichzeitig auch für POW – Protect Our Winters -, eine Initiative der Snowboard- und Freeridegemeinde gegen den fortschreitenden Klimawandel. Zehn Mal hat das Snowboarder-Magazin Jeremy Jones schon zum „Big Mountain Rider of the Year“ gekürt, einmal abgesehen von den unzähligen Filmaufnahmen, die man eigentlich nicht in Worte fassen kann. Erst vor zwei Jahren, also 2013, wurde der Snowboarder mit Herz von National Geographic zum „Adventurer Of The Year 2013“ und vom amerikanischen Präsidenten Obama persönlich zum „Champion Of Change” ernannt – für seinen Kampf gegen den Klimawandel. Florian Fischl hat sich mit dem Meister des Snowboards und Splitboards auf der ISPO 2015 getroffen und sich mit ihm über Splitboards, POW und andere Sachen ausgetauscht.
Jeremy Jones im Interview
Florian Fischl: Hallo Jeremy, ich freue mich, Dich zu treffen. Inwieweit bist Du eigentlich in die Entwicklung der Splitboards bei Deiner Firma Jones Snowboards involviert?
Jeremy Jones: Die Entwicklung der Jones Splitboards ist eine Sache, in die ich extrem involviert bin. Ich habe das große Glück, dass ich uneingeschränkte Designmöglichkeiten habe. Wenn wir die aktuelle Kollektion ansehen, dann war ich in jeder Hinsicht involviert – sei es bezüglich der Form, der Haptik, der Bauart oder sonst was. Wenn ich beispielsweise die Idee habe, das Gewicht eines Splitboards aufs Minimum zu reduzieren, dann unterhalte ich mich mit diversen Ingenieuren, um herauszufinden, wie das am besten gelingt. Es ist also auch eine Menge Teamarbeit dabei.
Wohin bewegt sich das Splitboarden in naher Zukunft? Werden Splitboards hauptsächlich diejenigen ansprechen, die Ruhe und Abgeschiedenheit in den Bergen suchen, oder glaubst Du, dass Splitboarden zum Massensport werden kann?
Jeremy Jones: Grundsätzlich glaube ich, dass das Thema Splitboarding in den USA etwas schneller voranschreitet als in Europa. Von den üblichen Tourengeher-Parkplätzen starten mehr Splitboarder als je zuvor. Das eher leicht zu erreichende Gelände ist dadurch nach Neuschneefällen schon recht schnell verspurt. Aber wenn man bereit ist, einen etwas längeren Anstieg auf sich zu nehmen, dann wird es sehr schnell leerer. Die Gebiete in der zweiten Reihe bieten immer noch jede Menge Ruhe und Einsamkeit, und ich glaube daran wird sich auch nichts ändern. Wenn ich heute das Ziel habe, weit weg von Menschen zu sein, dann erreiche ich das mit einem Splitboard auf jeden Fall ziemlich schnell.
„Demut ist eine großartige Sache in den Bergen“
Die Freeride Community hat in den letzten Jahren viele wegweisende Personen und Pioniere verloren. Lernt man aus diesen schrecklichen Ereignissen und beeinflussen sie Dich, wie Du dort draußen unterwegs bist?
Jeremy Jones: Klar macht es einen Eindruck auf mich, wenn ich Freunde in den Bergen verliere. Es gibt sicherlich jede Menge Lernpotential und ich versuche, mich permanent weiterzuentwickeln, um bessere Entscheidungen treffen zu können. Ich muss zusehen, wie meine Mentoren ihr Leben in den Bergen lassen, und frage mich häufig, welche Zeichen sie an diesem Tag übersehen haben, denn ich weiß, es hätte vielleicht genauso gut mich treffen können. Nach solchen Ereignissen versuche ich wie nach einem Zwiebelprinzip alle erdenklichen Schichten aufzuarbeiten, um herauszufinden, welche Faktoren die Entscheidungen an dem Tag beeinflusst haben. Andererseits, zum Beispiel in Orten wie Chamonix, ist das Risiko, was der durchschnittliche ambitionierte Local täglich eingeht, so hoch, dass ich für mich vor langer Zeit beschlossen habe, dass ich mit so einem Risiko nicht täglich umgehen möchte. Sie sind dort extrem desensibilisiert, weil sie eine Gondel haben, die sie in wenigen Minuten zu einem der extremsten Spielplätze dieser Welt bringt.
Inwieweit kannst Du Dich im Backcountry auf Deine mentale Verfassung verlassen?
Jeremy Jones: Demut ist eine großartige Sache in den Bergen. Ich mache mir eher dann Gedanken, wenn mein Selbstvertrauen zu hoch ist. Wenn ich vor kurzer Zeit einen Freund in den Bergen verloren habe, dann bin ich mir sicher, dass ich die richtigen Entscheidungen treffen werde. Ich führe niemals Selbstgespräche, in denen ich mir sage, dass ich nicht genügend Gas gebe dort draußen. Ich habe viel mehr Respekt vor den Momenten, in denen ich feststellen muss, dass ich seit langer Zeit auf einer Tour nicht mehr umgekehrt bin. Das ist der Punkt, an dem schlechte Dinge anfangen zu passieren.
Du warst mit Deinem Snowboard schon überall auf der Welt unterwegs. Welche kulturelle Begegnung blieb besonders in Erinnerung?
Jeremy Jones: Grundsätzlich bin ich immer wieder überwältigt, wie cool es ist, in eine Gegend zu fahren, ohne die Sprache zu sprechen, und Locals zu treffen, die ihre Berge und ihre Kultur mit dir teilen wollen. Der Zusammenhalt, der dadurch entsteht, ist gigantisch, obwohl man sich gar nicht unterhalten kann. Wenn du einen Powderturn mit jemandem teilst, dann verbindet das ein Leben lang. Ich habe vor langer Zeit gelernt, dass ich mich so viel wie möglich mit Locals aufhalten sollte, wenn ich auf Reisen unterwegs bin. In Europa gehe ich lieber alleine zum Riden als mit einer Handvoll Kumpels. Die lokale Note ist mir extrem wichtig.
Vor einigen Jahren war ich in der Türkei und habe dort von einer besonderen Snowboardkultur gehört. Ich bin drei Stunden auf einer einspurigen Straße in ein hochgelegenes Tal gefahren und landete in einem kleinen Dorf voller Pulverschnee. Ich traf dort einen 72 Jahre alten Snowboarder, der seit 50 Jahren auf seinem Brett unterwegs war. Er hat mir gezeigt, wie man auf dem Brett durch den Schnee gleitet. Das ist der Grund, warum man reist – weil man Dinge erlebt, die man nicht für möglich gehalten hätte. Ich habe das gerade nochmal vor Augen (Jeremy lacht). Wir starteten zusammen, ich fiel nach wenigen Metern vom Brett und er ist einfach weiter gecruist wie so ein hawaiianischer Surfgott. Es war sensationell!
Jeremy Jones‘ Initiative POW: „Die Politik hat sich als unser oberstes Ziel etabliert“
Kommen wir zu Deiner Initiative Protect Our Winters (POW), die 2007 ins Leben gerufen wurde, um gegen den fortschreitenden Klimawandel vorzugehen, und sich vor allem an Schneesportler richtet. Was ist die Kernbotschaft, die Ihr den Leuten auf ihrem Weg in die Berge mitgeben möchtet?
Jeremy Jones: Der Klimawandel und die Umwelt haben so viele Facetten und es gibt eine Vielzahl an Dingen, die man machen sollte, um seinen Beitrag gegen den Klimawandel zu leisten. Allerdings haben wir im Laufe der Zeit gelernt, wenn man dem Klimawandel wirklich den Kampf ansagen möchte, dass man sich auf höchster politischer Ebene engagieren muss. Das ist unglücklich, aber wenn die Regierungen nicht dahinter stehen, dann bringen auch die ganzen umweltfreundlichen Kaffeebecher nichts.
Wir haben Protect Our Winters 2007 gegründet und hatten das Mission Statement, die Wintersportgemeinde für den Kampf gegen den Klimawandel zu vereinen. Damals haben wir nicht geahnt, dass wir jemals so politisch engagiert sein werden, wie wir es heute letztendlich sind. Ehrlich gesagt hat mich die Politik nicht wirklich interessiert. Dennoch ist unser Mission Statement heute noch relevant, da wir beispielsweise im Weißen Haus nur deshalb eine Audienz bekommen haben, weil wir als Wintersportgemeinde eine große Masse darstellen, die tagtäglich mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen konfrontiert wird. Kurz gesagt hat sich die Politik seit 2007 als unser oberstes Ziel etabliert.
Die Wintersportgemeinde verbläst jährlich Unmengen von Geld und Emissionen für Liftanlagenerweiterungen, Heliflüge, Reisepläne, Bekleidung usw. Nimmt Protect Our Winters in diesem Zusammenhang nicht eine etwas ironische Bedeutung an?
Jeremy Jones: Natürlich hinterlassen wir alle einen CO2-Fußabdruck, wenn wir in die Berge fahren. Sicher steckt eine riesige Industrie dahinter. Aber weil wir es andauernd aus erster Reihe beobachten können, sind wir auch in einer einzigartigen Position, Dinge anzusprechen, und dadurch eben auch als sehr großer Einflussfaktor gegen den Klimawandel anzusehen.
Nachdem der Klimawandel bekannterweise eine globale Herausforderung ist, gibt es konkrete POW in Europa und Asien auszubauen?
Jeremy Jones: Ja, grundsätzlich schon. Wir haben regionale Verbände in Frankreich, Norwegen und Argentinien. Allerdings sind wir im Großen und Ganzen eine kleine Gruppe und haben uns vorgenommen, dass wir 95 Prozent Ausführung und fünf Prozent Ideen pflegen wollen. Das heißt, dass wir nur die Dinge anpacken, die wir auch glauben umsetzen zu können. Vom Führungsaspekt her können wir in den USA wesentlich effektiver agieren. Wenn die USA den Kampf gegen den Klimawandel vorantreiben, dann werden andere Länder auch davon profitieren. Deswegen konzentrieren wir uns mit unseren begrenzten Mitteln zunächst auf unsere Heimatregion. Wir haben Mitglieder (Personen und Firmen) auf der ganzen Welt, und in Kanada werden wir beispielsweise auch in nächster Zeit einige sehr bedeutende Projekte durchführen.
„Ich bin der Meinung, dass jede Generation ihren Beitrag leisten muss“
Wenn Du auf POW seit seiner Gründung zurückblickst, würdest Du es als erfolgreich bewerten, oder glaubst Du manchmal, dass Ihr gegen Windmühlen kämpft?
Jeremy Jones: Es gibt viele Dinge, auf die ich zurückblicke und sage: „Das war ein Sieg.“ Zum Beispiel der „POW Breakfast Talk“ auf der SIA (Snowsports Industries America Snow Show) (Anm. d. Red.: Messe ähnlich der ISPO in Europa). Bis vor zwei Jahren haben weder die SIA noch namhafte Skigebiete in den USA die Worte „climate change“ überhaupt in den Mund genommen. Seitdem haben wir beispielsweise Klimalehrpläne für über 20.000 Kinder erstellt und haben eine Audienz im Weißen Haus bekommen. Das sind Dinge, die uns zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Andererseits arbeiten wir aber nur mit weniger als einem Prozent der Industrie zusammen und unsere Mitglieder machen weniger als 0,1 Prozent aller Skifahrer und Snowboarder aus. Deswegen frage ich mich schon ab und zu, wie wir es eigentlich schaffen, dass wir überhaupt noch existieren. Zum Glück gibt es einen sehr engagierten harten Kern, aber die Tatsache, dass wir weniger als ein Prozent der Firmen in dieser Halle (Jeremy zeigt auf die ISPO-Messehalle) mit an Bord haben, ist sehr frustrierend. Wir haben mit weniger als einem Prozent schon sehr viel erreicht, nur kann ich das in zehn Jahren nicht mehr sagen. Unterm Strich brauchen wir wesentlich mehr Unterstützung seitens der Industrie.
Was sind die neuesten Projekte von POW? Was stärkt Dir den Glauben an die ganze Sache?
Jeremy Jones: Mit POW haben wir alle Hände voll zu tun. Wir stecken mitten in den Vorbereitungen für die Klimakonferenz der Vereinten Nationen 2015 in Paris. Außerdem stemmen wir uns seit geraumer Zeit mit vollem Einsatz gegen den Export von Kohle aus dem Nordwesten der USA. Das wird sicherlich noch hitzig werden und bei uns noch eine Weile viel Kraft kosten. In diesem Zusammenhang haben wir auch vor kurzem einen Film über den Export von Kohle in China veröffentlicht.
Eine andere Sache: Die Präsidentschaftswahl in den USA steht an und wir sind sehr bemüht, die jüngere Generation über Klimathemen aufzuklären, und ihnen eine Wissensbasis für die Zukunft zu geben. Ich bin der Meinung, dass jede Generation ihren Beitrag leisten muss, und unsere Generation hat noch viel Arbeit vor sich. Der Klimawandel ist immer noch unser Problem und wir müssen die Verantwortung übernehmen.
Trotz der politischen Hürden ist das Spannende an der Klimafront die Tatsache, dass Lösungen existieren, die uns Hoffnung geben. Klar fehlt es noch an Details, aber aus wissenschaftlicher Sicht sind die Grundideen schon da. Wir müssen es „nur“ schaffen, die Themen auf höchster politischer Ebene in den jeweiligen Ländern zu positionieren. Zum Beispiel wurden im letzten Jahr einhundert Kohlekraftwerke in den USA geschlossen. So etwas war vor zehn Jahren noch undenkbar. Solche Indikatoren stärken uns im Glauben, dass wir Dinge bewegen können.
Jeremy Jones privat: „Man muss nicht immer ans andere Ende der Welt reisen“
Auch wenn ich Dich noch stundenlang zu POW befragen könnte – ganz allgemein bzw. an Dich persönlich als Sportler gerichtet: Welche Projekte stehen für 2015 an?
Jeremy Jones: Momentan stehe ich total auf lokale Entdeckungsreisen wie verborgene, schwer erreichbare Bergketten, in denen man zwei bis drei Tage marschieren muss, bevor man sich an die erste Abfahrt machen kann. Orte, an denen die Menschen mit einem Snowboard noch nicht unterwegs waren. Kurz: abgekoppelt von der Zivilisation, aber noch in Reichweite von meinem Haus. Ich fühle mich extrem glücklich, dass ich so etwas in der Umgebung von Truckee, Kalifornien, noch machen kann. Man muss nicht immer an das andere Ende der Welt reisen. Wenn man sich in seiner Umgebung genauer umsieht, kann man tolle Routen entdecken. Deswegen nehme ich mir vor, jedes Jahr eine andere Region zu erkunden, von der ich noch nie gehört habe. Da kratze ich momentan erst an der Oberfläche, es gibt noch viel zu entdecken.
Hast Du ein Motto, nach dem Du lebst?
Jeremy Jones: Nein, kein festes, das wechselt immer. Mein Snowboardmotto war ja „tiefer, weiter, höher“ (Anm. d. Red: „Deeper, Further, Higher“ ist der Name der Filmtrilogie von Jeremy Jones), weil die Evolution immer eines meiner Ziele beim Riden ist. Ich liebe es, neue Dinge zu erleben. Im Alltag nehme ich mir immer vor, das Hier und Jetzt wahrzunehmen und im Moment zu sein. Das ist eine ewige Reise, auf der ich mich befinde und die ich sehr schätze.
Letzte Frage, Schnellschuss am Schluss: Solid oder Splitboard? Couloir oder freier Hang? GoPro oder den Moment genießen?
Jeremy Jones: Splitboard. Couloir. Den Moment genießen – nachdem 80 Prozent meines Snowboardens nicht vor laufender Kamera passiert.
Ich bedanke mich sehr herzlich für das Interview!
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