„Old habits die hard“ heißt es im Englischen – Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. So ist es auch mit Kletterschuhen. Als langjähriger Scarpa Liebhaber war ich schwer von neuen Modellen zu überzeugen, gerade von anderen Marken. Aber der Blick über den (Hers-)Tellerrand lohnt sich. Im Rahmen dieses Beitrags habe ich über vier Monate bis Februar 2020 das Highend-Modell Mastia von Tenaya intensiv getestet.
Tester Chris‘ Empfehlung zur Größenwahl: 5-6 Größen kleiner als die normale Schuhgröße.
Der Aufstieg von Tenaya im Highend-Bereich
Vor wenigen Jahren hätte man noch gesagt: „Tenaya…waren das nicht die Spanier mit diesem „Ra” Modell, so gerade wie ein Lineal?” Korrekt. Eines muss man dem spanischen Kletterschuhhersteller Tenaya in der Hinsicht lassen: Sie haben in den letzten Jahren immer mehr starke Athleten an sich gebunden. Neben Boulderer Jimmy Webb, Chris Sharma, Alizée Dufraisse und dem Olympioniken Alexander Megos sind auch jüngere Athleten wie Drew Ruana überzeugt. Schwierigkeiten ab 9a Tour oder 8B Boulder gehen nur mit Spitzenschuhwerk und das überzeugt jeden Zweifler der Kletterszene. Der Highend-Boulder Youtube-Channel „Mellow” ist jüngstes Zeugnis davon.
Ich war in meinem Schuhtest über vier Monate und ca. 50 Klettersessions in eher moderateren Graden bis 8a/+ Tour unterwegs, konnte mir jedoch ein umfassendes Bild zur Eignung des Tenaya Mastia verschaffen.
Der Schuh braucht Eingewöhnungszeit
Beim Finden der richtigen Größe war ich überrascht – bei Straßenschuhgröße 44 passe ich tatsächlich in einen 38 ¾ Schuh, also mehr als 5 (!) EU-Schuhgrößen kleiner. Zur Orientierung: Ich bin von der alten Schule und trage gern enge Kletterschuhe, weil ich vor allem in längeren Sportkletterrouten in den Voralpen unterwegs bin. Bei Scarpa trage ich 40 ½, bei La Sportiva 39 und bei FiveTen 41. Neuer Rekord also.
Aufgrund des festen Fersenzugs und eher schmalen Vorderfußes fällt das anfängliche Reinschlüpfen bei breitem Spann eher schwer, auch wenn die Fingerschlaufen schön groß sind. Dieser Nachteil des schwereren Einstiegs wird durch die robuste Ferse und einen rundum eng sitzenden Schuh kompensiert – der Mastia weitet sich quasi nicht und sollte daher durchaus in kleiner Größe, aber nicht zu eng gewählt werden.
Das erste Tragegefühl eines klein gewählten Mastias ist geprägt durch eine enge Zehenbox, mit eher schmalem Spann und einem relativ gestreckten großen Zeh. So musste ich den Schuh einige Wochen eintragen, bis er sich an die Fußform optimal angepasst hatte. Ab dem Zeitpunkt verlief auch das Reinkommen problemlos und der erste skeptische Eindruck wandelte sich in Überzeugung: Der Schuh passt sich sehr gut der Fußform an.
Verglichen mit Topmodellen anderer Hersteller fällt an der Schuhspitze auf:
- Die Schuhspitze zum Antreten ist eher abgerundet, weniger dolchartig.
- Die Vorspannung des Vorderschuhs oder „Downturn” ist beim Mastia spürbar geringer als bei vergleichbaren Leistungsmodellen. Ein Downturn ermöglicht ein Ziehen an positiven Tritten im steilen Gelände
Die Zehenkappe auf der Fußoberseite ist wie bei modernen, vinylhandschuhartigen Leistungsmodellen aus Vollgummi mit länglichen Schlitzen, so dass sich trotz aufgestellter Zehen die Oberfläche ideal der Toehook-Struktur anpasst. Da ich leider ein Toehook-Idiot bin, kann ich hier kein Expertenurteil abgeben.
Das ideale Einsatzgebiet: Tendenz zu Bouldern und Halle
Die Kombination von runder Spitze und weniger Vorspannung ist stimmig, wenn man den Anwendungsbereich im Bereich Bouldern und Halle sieht, wo es weniger auf präzise Mikrotritte in langen Klettereien ankommt, sondern eher auf flächiges Antreten. Zugleich ist auch die Krampfneigung des großen Zehs geringer.
Der geringere Fokus auf Präzision schafft ein angenehmes Gefühl beim schnellen Antreten und verzeiht zugleich Fehler auf Indoortritten, was gerade für fortgeschrittene Anfänger im Hallenbereich interessant ist – dort wird er im süddeutschen Raum auch stetig sichtbarer. Am Fels findet die rundere Spitze in steileren Sintergebieten in Südeuropa gute Anwendung.
Im Gegensatz zu vergleichbaren Bouldermodellen ist die Sohle etwas steifer: Dies sorgt zwar für weniger Gefühl beim Antreten, verleiht dem Tenaya Mastia jedoch eine extrem gute Ferse zum Heelhooken.
Der Tenaya Mastia im Detail
Gerade im Highend-Bouldern am Fels ist die Abhängigkeit von gut sitzenden Heelhooks auf kleinen Unebenheiten entscheidend für Durchstiege: Hier zählt eng anliegender Gummi um die Ferse und robustes Material mit hoher Reibung. Viele Boulderer haben standardmäßig Sekundenkleber und Schleifpapier dabei, um kaputte Fersen für den nächsten Go zu flicken.
Bisher hatte ich für die beste Heelhook-Performance auf die festeren Modelle von Scarpa geschworen, tatsächlich gefällt mir die Tenaya Mastia-Ferse mittlerweile besser: Mit der „tennisball-artigen“ Geometrie nach Prinzip La Sportiva Solution, der Abwesenheit von Kanten und der aufgerauhten Gummioberfläche hat Tenaya hier alle Erfolgsfaktoren vereint.
Auch in Bezug auf Komfort punktet die Ferse: Der Ferseninnenraum kommt ohne spürbare Nähte aus, was man von anderen Herstellern nicht behaupten kann.
Mit seiner Vorspannung im unteren Teil des Mittelfußes liegt der Mastia eng an der Fußwölbung an, auf der Oberseite sorgt ein schwarzer Mesh-Stoff für Dehnbarkeit und Atmungsaktivität. Wenngleich sich das Mesh zu Beginn ungewohnt auf der Haut anfühlt, gewöhnt man sich schnell an die Vorteile.
An jedem Feature des Schuhs merkt man das hohe Qualitätsbewusstsein des spanischen Herstellers. In zwei Dekaden Klettererfahung habe ich viele Modelle und Hersteller getestet: Tenaya hat mit dem Mastia jedes Element bewusst konzipiert. Die durchgängig hochwertige Verarbeitung und geringe Dehnung macht das obere Preissegment nachvollziehbar – Qualität hat wie immer seinen Preis.
Testfazit: Erstklassig für Bouldern und Halle
Der Tenaya Mastia schlägt mit bewussten Designeigenschaften eine stimmige Spezialisierung Richtung Bouldern ein:
- rundere Fußspitze
- weniger Downturn
- mittelsteife Sohle
- exzellente Fersenkonstruktion
Die hohe Qualität in der Verarbeitung sorgt für angenehmen Tragekomfort, auch wenn das initiale Eintragen etwas Geduld erfordert. Für ambitionierte Anfänger mit Fokus auf Halle und Bouldern ist der Schuh eine ernsthafte Alternative zu den Platzhirschen.
Für jeden erfahrenen Kletterer, der auf vergleichbare La Sportiva oder Scarpa-Modelle schwört: Der Blick über den (Hers-)Tellerrand lohnt sich. Es kommt nicht von ungefähr, dass immer mehr starke Athleten Tenaya tragen und ihre 8A/B/C Boulder damit klettern. Also probiert es aus!