Von herabschauenden Hunden und Legomännchen
Herabschauender Hund. Ich habe meine Augen geschlossen, genieße die Länge im Rücken und atme: Ein, aus, ein…Mamaaaaaa! Die Tür fliegt auf und mein sechsjähriger Sohn steht wutentbrannt vor mir. Das Schwert seines Ninjago-Legomännchens ist verschwunden! Ich atme aus. Ich versuche weiter in der Entspannung zu bleiben, das Geschrei zu ignorieren…zu spät. Mit jedem weiteren Atemzug steigert sich mein Sohn nur noch weiter in seine Verzweiflung. Statt Schlussentspannung durchwühle ich jetzt also Legokisten.
Und nun soll ausgerechnet ich eine Kolumne schreiben, über die Vereinbarkeit von Bergsport und Kindern – sozusagen ein kleiner Mutmacher für alle werdenden Eltern. Ich wollte Euch sagen, dass Ihr Eure Kletterschuhe, Gravelbikes und Tourenski noch lange nicht in den Keller verbannen müsst, nur weil sich zuhause statt Sportequipment plötzlich Windeln, Schnuller und Babybrei türmen. Und dass Ihr auch zwischen Windelwechseln und aufs Bäuerchen warten ruhig noch sportliche Pläne schmieden solltet – sofern Euch vor Müdigkeit von den durchwachten Baby-Nächten nicht die Augen zufallen.
Max van den Oetelaar/Unsplash
Eine Bergsport-Mama zwischen Vorstellung und Realität
Aber während ich auf dem Boden kniend nach dem kleinen Lego-Schwert suche, beschleichen mich Zweifel. Wie läuft das bei mir? Funktioniert das mit Job, Kindern und Sport so wie ich mir das vorgestellt habe? Bin ich die Super-Mami, die während sie das frisch geerntete Gemüse aus dem Garten verarbeitet, gleich noch ein paar Dehnübungen macht? Die, die morgens um 5 Uhr aufsteht, damit sie noch schnell einen kurzen, knackigen Trailrun machen kann, bevor sie ihren Kindern die Brote für Kindergarten und Schule schmiert? Oder die, die abends, nachdem sie die Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen und die letzte Wäsche gefaltet hat, sich noch schnell aufs Rennrad schwingt? Eher nicht. Allein von „schwingen“ kann bei mir abends keine Rede mehr sein. Und auch das frische Gemüse ist in meinem Garten ziemlich überschaubar.
Dennoch sind mir Berge und Sport nach wie vor unglaublich wichtig. Nur stehen sie nicht mehr allein im Mittelpunkt. Dort stehen jetzt zwei kleine Menschen, denen es herzlich egal ist, wie viele Höhenmeter ich geschafft habe.
Kinder interessieren sich nicht für Höhenmeter, Geschwindigkeiten oder Rekorde. Bei ihnen zählt allein das Hier und Jetzt.
Natürlich weiß ich, wie gut mir meine sportlichen Auszeiten tun und dass von einer ausgeglichenen Mama doch schließlich auch meine Kinder profitieren. Doch im Alltag kostet es manchmal einfach unglaublich viel Kraft und Energie, sich diese privaten Bergzeiten zu nehmen – in Zeiten von Corona mit geschlossenen Kindergärten und Schulen, mit Homeoffice und Homeschooling und mit hunderten von Kilometern entfernten Großeltern noch viel mehr.
Gemeinsam schaffen wir das!
Inzwischen liege ich auf dem Boden – nicht auf einer Yoga-Matte, sondern auf dem Autoteppich im Kinderzimmer. Kopf an Kopf mit meinem Sohn versuche ich mit einem Lineal das verschwundene Lego-Schwert unter dem Kleiderschrank hervorzuzaubern. Und tadaaa: Da kommt der ein Zentimeter große Lego-Übeltäter wieder hervor! Mein Sohn und das Ninja-Legomännchen strahlen um die Wette. Ich muss mitlachen und plötzlich fühlt sich alles wieder ganz leicht an: Gemeinsam schaffen wir das! Als mein Mann kurz darauf nach Hause kommt, erwarten ihn meine Söhne mit dem Fußball. Ich setze kurzentschlossen meinen Fahrradhelm auf, schwinge mich aufs Mountainbike und fahre Richtung Isar.
Bärbel Voigtländer
Ja, es gibt diese Momente, in denen alles möglich erscheint. In denen nicht nur die Fahrradreifen rund laufen, sondern auch alles andere. Momente, in denen ich es doch schaffe, um 5 Uhr – naja, sagen wir 6 Uhr – aufzustehen und mit einer Freundin zu einer lang geplanten Bergtour aufbreche. Momente, in denen die Oma zu Besuch kommt und mein Mann und ich zu zweit auf Mountainbiketour gehen, so wie früher. Und natürlich Momente, in denen wir gemeinsam mit unseren Söhnen am Berg unterwegs sind.
Kinder verändern die Bergperspektive
Ich bin nicht mehr so oft in den Bergen, wie ich es ohne Kinder war und sicherlich mache ich auch nicht immer genau das, was ich ohne sie dort gemacht hätte. Meine Söhne kümmern sich wie gesagt nicht um irgendwelche Höhenmeter oder Gipfel-Ausblicke. Dafür entdecken sie Stöcke, die aussehen wie Schlangen oder Steine, die vom Bach so rundgespült sind wie Tischtennisbälle. Kinder stellen das Leben ziemlich auf den Kopf, aber sie verändern dadurch auch die Perspektive. Meine Bergzeiten fühlen sich jetzt anders an als früher – irgendwie intensiver.
Meine Bergzeiten fühlen sich jetzt anders an als früher – irgendwie intensiver.
Bärbel Voigtländer