Die Laliderer Nordwand kann seit einiger Zeit nur noch in Erinnerungen an vergangene Zeiten schwelgen und den Wanderern und Mountainbikern hinterher schauen, die fröhlich ihres Weges zur Falkenhütte ziehen. Doch einer hat die Ruhe an der Laliderer Spitze gestört: Seit Juli 2012 gibt es die Route Magic Line von Ralf Sussmann. Die Magic Line hat sich mit ihrer Kletterei anscheinend so nah an die Präferenzen der aktuellen Generation angepasst, dass es trotz des schlechten Rufs der Wand zu einem spürbaren Anstieg der Begehungen gekommen ist. So viele, dass mein Kletterpartner Woscht und ich unbedingt auch mal reinstarten wollten. Unseren Erfahrungsbericht gibt es jetzt hier.
Die Magic Line an der Laliderer Nordwand – die Linie durch den Schotter
Die Magic Line ist 800 Meter lang mit 26 Seillängen. Viele davon kurz und knackig. Drei Seillängen im achten UIAA-Grad, drei im Grad 8+. Der Rest meist im sechsten und siebten Grad. Oben raus noch eine Länge 8-. Die Bewertung ist aber relativ soft. Die Kletterzeit beträgt je nach Verfassung und Erfolg bei der Routenfindung sechs bis zehn Stunden. Dass die Laliderer Nordwand ein senkrechter Schotterhaufen ist, kann auch ein Sussmann nicht ändern. Allerdings gibt es auch in diesem Schotterhaufen einige steile Teile, wo der Schotter schon runtergefallen ist. Die hat er verbunden und zu einer logischen Linie mit fast durchgehendem, für Laliderer Verhältnisse sehr gutem Fels aneinandergehängt. In Kombination mit einer Unzahl von Bohrhaken rückt das eine Begehung in ein ganz anderes Licht. Um sein Leben muss man kaum noch fürchten.
Unsere Begehung
Wir steigen noch vor dem Sonnenaufgang ein. Es geht gleich zackig los. Mit einem kräftigen 8+ in der ersten Länge. Ganz schön zäh im Halbschlaf noch vor Sonnenaufgang so schwer zu klettern. Ich hole mir jedenfalls gleich mal einen ordentlichen Kaltpump ab. Zumindest wach bin ich jetzt. Der Woscht auch. So wach, dass er ohne Pause gleich in die folgende 8er Dachkante startet, wo der Kaltpump auch nicht besser wird.
Während er klettert, geht die Sonne auf: Toll im orangen Licht des Sonnenaufgangs am Fuße so einer Wand zu klettern! In der dritten Länge (6+/7-) kann ich dann endlich den ersten großen Brocken aus der Wand reißen. Und wär fast gleich noch hinterhergesprungen. Weiter geht’s mit schönen 6er-, 7er- und 8er-Längen – zum Teil steil und zum Teil plattig. Der Fels ist größtenteils fest und wir genießen die Sonne. Unangenehm ist nur, dass uns schön langsam das Wasser ausgeht. Ein bisschen Schwitzen müssen wir nämlich schon bei so vielen 8ern hintereinander (1., 2., 5., 6. und 10. Länge).
Ab der elften Länge ändert sich dann der Charakter der Tour. Der Fels wird immer brüchiger, die Hakenabstände weiter und die Kletterei einfacher. Auch die Sonne ist irgendwann endlich weg. Jetzt entspricht das Ambiente den Erwartungen. Der Weg ist nicht immer ganz einfach zu finden, weil die weniger werdenden Bohrhaken nicht gut von der Wand zu unterscheiden sind und es viele Möglichkeiten gibt zu klettern. Ein paar Alternativen checken wir gleich mal aus. So wie der Pfeiler in der 14. Seillänge. Schöne Line, aber bisschen brüchig und ungesichert halt. Die Platte rechts vom Pfeiler mit den vielen Bohrhaken ist entspannter. Wenn man sich nicht verklettert, ist die Absicherung immer noch gut. Besonders in den 7er-Längen.
Alleine sollte man aber schon sein in der Laliderer Nordwand
Auf keinen Fall sollten hier oben in der Laliderer Nordwand jedoch zwei Seilschaften auf einmal unterwegs sein. Auch wenn wir und die vorherigen Begeher sicherlich schon einige Brocken abgeräumt haben, gibt es noch unbegrenztes Potential, um nachfolgenden Seilschaften die Birne einzuhauen.
Nach acht Stunden sind wir durch! Als erster Wiederholer konnte ich alle drei 8+ Längen und die letzte 8- onsight klettern. Die zwei 8er-Längen habe ich im Nachstieg frei geklettert. Die ersten zwei 8+ hat der Woscht auch gepunktet!
Der Abstieg von der Laliderer Spitze ist ernst. Zunächst durch die beeindruckende Einöde am Ausstieg, vorbei an der Biwakschachtel geht es durch die Spindlerschlucht hinab. Wir klettern die meisten Stellen lieber ab, als an den schlechten Standplätzen abzuseilen. Nur an den sechs Bohrhaken ist das Abseilen wirklich safe. Die Markierungen wurden vor kurzem mit grüner Farbe erneuert. Das erleichtert die Wegfindung wesentlich. Glücklicherweise kommen wir noch rechtzeitig an der Hütte an, um vor dem Abstieg zum Auto den Tag mit Weißbier und Schnitzel ausklingen zu lassen. Das frühe Aufstehen bringts!
Fazit: Geiler Tag! Durch so eine große Wand zu steigen ist immer ein tolles Erlebnis. Wieviel Risiko man dabei eingehen will und wieviel Abenteuer man erleben möchte, muss jeder selbst entscheiden. In der Magic Line gibt es viele Klettermeter in tollem Ambiente für verhältnismäßig geringes Risiko. Dafür weniger Abenteuer und mehr Sportkletterspaß. Danke in jedem Fall an Ralf Sussmann für die Mühen der Erstbegehung und Glückwunsch zur Linienfindung.
Tipps für eine freie Begehung der Magic Line
Manchmal lohnt es sich, Bohrhaken nach dem Clippen des nächsten Hakens wieder auszuhängen oder von vorneherein auszulassen, um die Seilreibung zu verringern. Auch müssen die Exen verlängert werden. Gutes Seilmanagment ist entscheidend, da die vielen Bohrhaken in den schwereren Längen etwas verstreut sind. In den schwereren Längen auch mal wieder Abklettern, da der auf den ersten Blick einfachste Weg sich oft nicht als solcher bestätigt. Wer Abenteuer mit Sportklettercharakter sucht, findet das hier im Karwendel – direkt vor der Haustüre für alle Oberländer!
Details zur Route Magic Line auf die Laliderer Spitze via Nordwand
- Charakter: Ausgesetzte, relativ sichere Kletterei in einer der wildesten, aber auch brüchigsten Alpenwände.
- Schwierigkeit: Passagen im 8. UIAA-Grad mit drei Einzelstellen UIAA 8+ in der 1., 5. und 11. Länge. Überwiegend 6 bis 7, 7 UIAA.
- Höhe/Seillängen: Wandhöhe 800 Meter, 26 Seillängen.
- Erstbegehung: Ralf Sussmann, Andreas Reichert, Martin Mißlbeck, Michael Warscher, Andreas Wunsch 2011 und 2012, der Gipfeldurchstieg gelang am 24.7.2012.
- Material: 12 Expressschlingen, 60 Meter Zwillingsseil, einige Camalots der Größen 0.3 bis 2. sind zur Sicherheitsreserve mitzunehmen. Ein Stopperkabel zum Drüberziehen und ein bis zwei Reservelaschen plus Mutter und Schlüssel (Größe 10).
- Absicherung/Erfahrung: Zehn Millimeter Edelstahl-Bohrhaken. In den Kletterlängen bis zum unteren sechsten Grad teilweise weite Abstände, bis zehn zehn Meter vorausschauendes und eigenverantwortliches Wegsteigen gefordert. Darüber ist alpine Erfahrung gefragt in Sachen Wegfindung, Griffbrüchigkeit, Absicherung und Orientierung allgemein.
- Abstieg: Komfortable Biwakschachtel befindet sich 50 Meter unter dem Ausstieg. Abseilen und Abklettern ist über die Spindlerschlucht (700 Höhenmeter, II, zwei bis vier Stunden) möglich. Von der Biwakschachtel 100 Höhenmeter direkt nach Süden auf dem Weg ins Rossloch absteigen, nach rechts zweigen Pfadspuren ab. Dann im Schotter direkt unter den Felsen zum markanten östlichen Ladizturm, direkt westlich davon beginnt die Spindler-Abseilroute (markiert). Bei Schlechtwettereinbruch in der Biwakschachtel nächtigen, in der Abseilrinne ist es sonst nachts oder bei Gewitter zu gefährlich. Bei Wetterumschwung einfacher aber langer Abstieg auf Pfadspuren nach Süden/Südwesten ins Rossloch und über den Forstweg nach Scharnitz.
- Material: 12 Expressschlingen, 60 Meter Doppelseil, evtl. 1,2 Laschen mit Mutter.
Selbst Erfahrungen in der Tour gemacht? Dann ab damit ins Kommentarfeld unten!