Ähnlich wie bei unserer Reise nach Mali, als vor unserem Besuch Touristen in der Sahara entführt worden sind, wurde ein paar Tage vor unserem Urlaub das Café Argana in Marrakesch von einem islamistischen Attentäter gesprengt. Für uns ganz normale Reisevoraussetzungen, um in ein afrikanisches Land zum Klettern zu fahren. Ein wenig anders wird einem ja schon, aber nicht nur bei solchen Meldungen.
Tajine um Mitternacht
Die Scheibenwischer arbeiten auf maximaler Leistung, um uns zumindest etwas Sicht in der Dämmerung zu gewähren, wenn schon die Scheinwerfer nur diffus die Straße ausleuchten. Entweder hat M’hammed eine bessere Sicht von der Fahrerseite auf die Strecke oder er kennt sie auswendig. So feucht haben wir uns Marokko nicht vorgestellt! Aufgrund bürokratischer Schwierigkeiten wegen der Fahrzeugpapiere bei einer Polizeikontrolle in Azilal und Probleme mit dem Anlasser starteten wir deutlich später als geplant in Richtung Zaouiat Ahansal, wo wir schließlich gegen Mitternacht ankommen. Am liebsten wollen wir in unserer Gîte gleich in unsere Schlafsäcke kriechen, aber dank der marokkanischen Gastfreundschaft serviert uns der Hausherr noch um Mitternacht ein üppiges Tajine. Dankbar nehmen wir das verlockende Angbot an. Tajine ist ein typisches nordafrikanisches Gericht – im gleichnamigen Kochtopf mit kegelförmigen Deckel wird das Schmorgericht direkt aus dem Topf gegessen. Das typisch marokkanische Essen wird nicht das Letzte bleiben, doch erstmal schlafen wir todmüde in Erwartung auf fantastische Landschaften und Felsen ein.
In der Schlucht von Taghia klettern
Am nächsten Tag geht es zu Fuß die zwei Stunden rauf in das kleine Berberdorf Taghia, das sich im nordöstlichen Teil des Hohen Atlas befindet. In einer Art grünen Kessel, umrahmt von mehr als nur einladenden, rötlichen Wänden liegt das kleine Dorf. In Taghia gibt es zwei Gîtes, die der ideale Standort für Kletterer und Trekker sind. Wir nisten uns für die nächsten zehn Tage bei Saïd ein. Zwei Matratzen am Boden unseres Zimmerchens müssen für die Zeit unseres Aufenthalts reichen. Dass den müden Kletterern absolut genügen, dafür sorgen schon allein die zahlreichen Klettermöglichkeiten um Taghia! Abgesehen von den Wänden um den Ort führen noch zwei weitere Schluchten, eingerahmt von genialen Wänden hinein in den Atlas und seine Felslandschaften, die man in 30 Minuten bis 2,5 Stunden mehr oder weniger gut über teils kreativ angelegte „Ferrata Berbere“ erreicht. Hier sollte schon eine gewisse Portion Trittsicherhiet vorhanden sein. Kritisch ist oft der Wasserstand der Flüsse unten in den Schluchten, die über- oder durchquert werden müssen. Um voran- bzw. weiterzukommen heißt das Motto meist Hosen runter und durch!
Hauptsache die Ziegen bleiben trocken
Die am einfachsten zu erreichende Wand ist Paroi des Sources, wo sich einige der leichteren Touren, sowie die geniale „Zebda“ (7b+, 250m) befinden. Läuft man weiter in die Schlucht zwischen den Wänden von Timrazine und Taoujdad hinein, steht man schon im nächsten Kletterparadies, vorausgesetzt man findet den trickreichen Weg über alle Schikanen. Häufiger geklettert wird aus der Schlucht die schöne und teils plattige „Canyon Apache“ (6c+, 355 Meter). Doch am beeindruckensten ist die Wand des Taoujdad. Hier hat sich seinerzeit sowohl der DAV-Freewall-Kader als auch der umtriebige Michel Piola ausgetobt. Letzterer hat mit „Les rivières pourpres“ (7b+, 550 Meter) eine der besten Touren erstbegangen. Dass man in Marokko auch im Regen am rauen Fels gut klettern kann, dürfen wir in den letzten Seillängen testen. So lange es trocken ist, sind die Abstiege kein größeres Problem. Bei Regen hat man die Wahl zwischen Canyoning oder Schlammrutschen, zumal alle trockenen Unterstandsmöglichkeiten bereits von zahlreichen Ziegen besetzt sind.
Hard Swing and Yellow Soup
Direkt über Taghia thront der Oujdad, der auf drei Seiten mit steilen Wänden abfällt. Der Katalonier Toni Arbones legte mit „Shukran“ (7c, 380 Meter) den Grundstein des alpinen Sportklettern in Taghia. Doch der Klassiker an dem Berg ist wahrscheinlich eher die „Baraka“ (7b, 680 Meter), die über einen breiten Pfeiler verläuft. Die letzte Wand oberhalb des Kessels von Taghia ist die Paroi de la Cascade. Neben der leichteren „Haben oder Sein“ (6b+, 240 Meter) sind hier in den letzten Jahren einige der schweren Linien wie „Tabula Rasa“ (8b, 250 Meter) oder „Walou Bass“ (8c, 165 Meter) entstanden. Auf dem Weg dorthin kommt man auch an einem der wenigen Sportklettergebiete vorbei.
Die abgelegenste, aber auch beeindruckenste Wand um Taghia ist die Tadrarate. Hoch im Kurs steht die Tour „l’Axe du mal“ (7c, 500 Meter). Geniale, aber teils verdammt scharfe Leisten führen durch diese Wand. Daneben gibt es noch viele weitere, schwere Touren, die allesamt sehr lohnend sein müssen. Wer noch seine Cams und Klemmkeile ausführen will findet in der „Rouge Berbere“ (7b, 560 Meter) viele tolle, cleane Risse. Es gibt noch einige Wände und vor allem viele Touren mehr, die an dieser Stelle gar nicht beschrieben werden können.
Was genauso wichtig ist, wie die Vielfalt an Touren ist die Vielfalt in der marokkanischen Küche. Diese verhält sich gegenproportional. Nicht von ungefähr kommt der Tourenname „Hard Swing and Yellow Soup at 20:30″ (8a+, 400 Meter) am Oujdad. So gibt es jeden Abend eine gelbe Getreidesuppe, gefolgt von Tajine den wechselnden Beilagen Couscous, Pasta oder Fladenbrot und schließlich noch Obst. Trotz der aufkommenden Monotonie werden im leckeren Tajine alle Zutaten verarbeitet, die im Atlas verfügbar sind.
Die Heimreise per Muli
Am verabredeten Vormittag werden wir wieder von Mohammed und seinem Muli abgeholt. Damit beginnt für uns der letzte Teil der Reise. Einerseits sind wir – mit Blick auf unsere Finger – froh um eine längere Kletterpause, andererseits waren die vergangenen Tage voll von genialen Erlebnissen, tollen Klettertagen und vielen schönen Kontakten mit neuen Freunden. Der Blick schweift von den Fingerkuppen aus noch einmal auf die imposanten Felsriegel, die so erhaben über den teilweise grünen Tälern wachen. Es war eine besondere Zeit in Marokko, allein die Landschaft lässt einen ruhiger werden.
Klettern in Marokko
- Anreise Flugzeug / Visa: Marrakesch – Azilal (2-3 Stunden Teerstraße) – Zaouiat Ahansal (2-3 Stunden Teer-/ Schotterpiste)- Taghia (2 Stunden Wanderweg)
- Reisezeit: Taghia liegt auf ca. 1900 Meter mitten im Hohen Atlas. Beste Zeiten sind normalerweise das grünere Frühjahr (April/Mai) und der stabilere Herbst (September/Oktober). Natürlich kann man auch außerhalb dieser Zeiten gute Verhältnisse antreffen, genauso auch schlechte innerhalb dieser Perioden.
- Kletterführer, Übernachtung: Ein umfangreiches Topo von 2007 gibt es von Christian Ravier: Taghia Berbères. Die meisten Topos finden sich auch im Netz unter Escalades de Taghia oder rhemi-thivel.com. Zudem findet man in der Gîte von Saïd die meisten Topos und Erstbegehungen. Von den Gîtes aus lassen sich Mulis für den Gepäcktransport organisieren. Marrakesch bietet zahlreiche günstige Hotels rund um den Djemaa el Fna. In Zaouiat Ahansal haben wir in der Gîte von Mhamed Fekkak übernachtet (gitefekkak@yahoo.fr, ca. 12 Euro HP). Des Weiteren gibt es am Ortsausgang Richtung Tahgia noch eine weitere Gîte. Für Übernachtungen ist bei Kletterern vor allem die Gîte von Saïd der Klassiker (gitesaid1@yahoo.fr, 10 Euro HP).
- Einkaufsmöglichkeit: Es lohnt sich aus Europa Müsliriegel, Schokolade etc. für die Touren mitzunehmen. In Marrakesch gibt es auch die Möglichkeit, in Supermärkten nochmals groß einzukaufen. Ansonsten wird man gut und ausreichend versorgt. In Taghia selber kann man in einem kleinen Laden z.B. Fischdosen und Cola kaufen. Grundsätzlich sollte man auf die übliche Regel „cook it, boil it or forget it” hören und zudem das Wasser vor dem Trinken reinigen. Eine Reiseapotheke mit den üblichen Zutaten für solche Länder kann prinzipiell nicht schaden. Obwohl alles gut erschlossen ist, eine professionelle Bergrettung oder ähnliches ist hier Fehlanzeige. In Marokko Klettern sollte also mit Vorsicht genossen werden!