Eines ist sicher: Die Veränderung der Griffe in Kletterhallen hin zu großen Volumen und reibungsaffiner Kletterei hat sich inzwischen auch bei den Kletterschuhen bemerkbar gemacht. Die Schuhe werden leichter, die Sohlen sensitiver und der Trend nimmt von den Vorspannen und unterstützenden Untersohlenkonstruktion Abstand.
Eingeleitet wurde diese Ära schon vor einiger Zeit mit dem Furia gefolgt von dem Furia S und Drago. Inzwischen hat Scarpa nochmal was draufgelegt und sich zum Ziel gemacht den leichtesten Schuh auf dem Markt zu konstruieren: Den Furia Air.
Der Furia Air: Gewicht und Aufbau
150 Gramm pro Schuh (in der Größe 40.5) bringt der Furia Air auf die Waage und damit sehr viel Sensibilität. Die Idee stammt ein wenig vom Handschuh ab, je dünner und anschmiegsamer der Handschuh, umso sensibler und sensitiver ist damit das Arbeiten. Laut Scarpa soll damit Klettern im High End Bereich möglich sein. Wie gelingt es, so einen Schuh zu konzipieren?
Arbeiten wir uns von innen nach außen durch die jeweiligen Schichten durch:
Das Obermaterial aus Mikrofasern ist mehr als hundertfach perforiert, also grob gesagt durchlöchert und somit leichter, dehnbarer und luftdurchlässiger. Die Zehenbox ist nahtlos angebracht, beziehungsweise besteht die Zehenbox für den großen Zeh aus einem etwas härteren lederähnlichen Material und gibt dem Schuh damit eingebettet in Mikrofaser die nötige Stabilität.
Ein bisschen kann man sich das wie einen Socken vorstellen, den man an der Zehenspitze in Gummi taucht. Unter dieser Zehenbox liegt ein kleines Stückchen Plastik mit einer Aussparung in der Mitte, um den großen Zeh im Druckpunkt zu unterstützen, aber flexibel genug zu sein, um immer noch eine sensitive Tritteigenschaft zu gewährleisten. Dasselbe Plastikstückchen ist vergleichsweise im Drago oder Furia S verbaut. Ein weiteres kleines Stückchen Plastik ist noch im Fersenbereich zu finden – wie ein kleiner Streifen, der mittig am Fersenband verläuft.
Eine Etage über dem Mikrofaser und der Zehenbox mit dem unterstützendem Plastikplättchen kommt der Bandaufbau, der dem Schuh seine Richtung und Form gibt. Hierbei wurde das DTS – Bandsystem verwendet, ein duales Bandsystem, das als bisher einziges System zwei Bänder links und rechts von der Zehenbox besitzt. Dieses Bandsystem kann man sich wie ein V – förmiges Band vorstellen, das bis unter den großen Zehen gelegt wird und sich dann jeweils beidseitig bis über die Ferse hinaus zieht. Etwas unüblich bei einer Softline, da bisher das unterstützende Bandsystem eher kurz vor der Zehenbox gestartet ist. Anstatt der üblichen Materialdicke von 2 Millimetern sind es hier nur 1,3 Millimeter.
Schon kommen wir auch zum äußeren Rand des Schuhs:
Eine 1 Millimeter dicke Sohle des Formats XS Grip 2 wird nun über die Ferse gelegt, wobei darauf geachtet wurde, nicht allzu großen Stress punktuell auf die Achillessehne über der Ferse zu geben. Über den Toe Patch und der Zehenbox wird eine 2,5 Millimeter dicke M50 Gummisohle gelegt, die über den großen Zeh, also am Toe-patch gespalten ist. Diese sorgt für mehr Flexibilität am Vorfuß. Unter dem Toe Patch – also der eigentlichen Zehenbox – liegt nun eine 3 Millimeter dicke Vibram Grip 2 Gummisohle. Also eine Menge Impact für einen 150 Gramm schweren Schuh.
Der Furia Air beim Bouldern und Klettern
Der erste Eindruck: Okay, der Schuh ist wirklich sehr leicht und lässt sich in der Hand fast wie eine kleine Rolle zusammenfalten. Beim Hineinschlüpfen kommt ein bisschen das Gefühl wie bei einem Neoprenanzug auf, das sehr anschmiegsame Material saugt sich förmlich an die Haut. Schmerzen im Zehenbereich? Keine. Das hat natürlich seinen Grund, wie inzwischen schon bekannt sein sollte, sind Kletterschuhe der neueren Generation nicht mehr so konzipiert, dass man den Schuh wochenlang mit Folie eintragen muss.
Test beim Bouldern
Das erste Testfeld ist eine Boulderhalle, in der viele Volumen und Boulder im Wettkampfstyle geschraubt sind. Eines fällt gleich auf: Großartig Einklettern muss ich den Schuh nicht. Ein wenig Wärme und Bewegung in die Strukturen gebracht, passt er sich schon perfekt an den Fuß an und gibt ein rundes Gefühl beim Tragen ab. Damit kommt auch gleich seine große Stärke: Das Anlaufen auf Volumen stellt kein Problem dar, die Haftungseigenschaften übertreffen sogar die des Drago.
Minuspunkte gibt es allerdings bei kleinen Nasen und sehr scharfen Kanten. Solange der Schuh noch neu ist und genügend Spannung besitzt, ist auch dieses Testfeld kein Problem, allerdings wird es bei deutlicher Abnutzung des Schuhs hier sehr schnell eng. Toehooks legen an Volumen, ist fast so kinderleicht wie auf Volumen zu stehen. Toehooks an kleinen Nasen oder fordernden Strukturen werden allerdings mangels Spannung und Steifheit zur Herausforderung. In der Softline muss man sich außerdem an den Hook gewöhnen, da man nicht wie bei den steiferen Modellen die Zehen an eine klare Kante legt und fertig. Bei Heelhooks ist bei der Softline zu Gunsten der Achillessehne immer ein wenig Luft zwischen den Backen, was aber ein wenig mehr Präzision und Kenntnisse über die Hook-Ferse voraussetzt.
Test am Fels
Eins vorweg, Mehrseillängen und Platten wird man mit diesem Schuh nicht klettern. Aber dafür jede Menge Überhänge. Am Fels ist der Übertrag deutlich spürbar, die kleinsten Strukturen sind für den Zeh fassbar und der Schuh ist hier unglaublich vielfältig einsetzbar.
Fazit: Für wen ist dieser Schuh gemacht?
Der Schuh eignet sich hervorragend für Kletterer, die mehrere Schuhe besitzen und ab und zu auf einen wirklich sehr sensiblen und sensitiven Schuh zurückgreifen möchten. Natürlich hat die Konstruktion und auch das extrem dünne und leichte Material seine Grenzen in der Belastbarkeit, daher empfehle ich den Schuh nicht unbedingt für die Nutzung als Allrounder Kletterschuh.
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