Im Dezember 2014 geht es für mich das erste Mal zum Klettern nach Patagonien. Bei der Ankunft in El Chaltén bläst der Wind ordentlich und es regnet! Mein Kletterpartner Much (Michael Mautz) und ich sind beide zum ersten Mal hier. Uns war jedoch schon vorher klar, dass das Wetter ziemlich schlecht sein kann. Daher haben wir nicht allzu große Erwartungen. Wir wollen uns die ganze Sache einfach mal unvoreingenommen anschauen. Nach einigen Tagen mit patagonischem Standardwetter zeichnet sich schließlich ein kleines Schönwetterfenster ab. Wir entscheiden uns für einen Versuch an der Exocet am Cerro Standhardt, einem der kleineren Nachbarn des berühmten Cerro Torre. Eine recht bekannte Tour, fast jeder Bergsteiger kennt das Bild der ersten Seillänge mit dem riesigen Klemmblock.
Cerro Standhardt – der erste Gipfel in Patagonien
Von El Chaltén marschieren wir los zum Niponino Basecamp. Nach sechs Stunden über Stock und Stein erreichen wir endlich das Camp im Tal zwischen Cerro Torre und Fitz Roy. Die folgende Nacht ist kurz, denn wir starten um drei Uhr morgens. Geplant sind drei Stunden für den Aufstieg zum Col Standhardt. Leider hat es die Tage zuvor geschneit, und so wühlen wir uns im knietiefen Schnee fünf Stunden über eine steile Flanke zum Col Standhardt hinauf.
Oben ist es ziemlich windig, ich starte gleich mit der Kletterei. Die ersten beiden Längen sind super Mixed-Kletterei, bevor es über einen langen Quergang im leichten Gelände zum Eiskamin geht. Sechs Seillängen steile Eiskletterei führen durch den rund eineinhalb Meter breiten Kamin. Oben folgt eine kurze Mixed-Länge und eine weitere Länge auf den Gipfelpilz des Cerro Standhardt. Nach 15 Stunden stehen wir überglücklich auf unserem ersten Gipfel in Patagonien! Auch die folgende Nacht im Zelt ist kurz. Wir packen unser Material zusammen und gehen bei Sturm zurück nach Chaltén.
Cerro Torre – endlich
Ein paar Wochen später geht es für uns erneut zum Niponino Camp. In der Nacht hat es ordentlich geregnet bzw. geschneit und wir können erst um neun Uhr starten, wieder den steilen Weg zum Col Standhardt hinauf. Oben seilen wir auf der Nordseite an drei Stellen ab und steigen erst zum Circo de los Altares und von dort weiter zum Filo Rosso ab, wo wir die gewaltige Westwand des Cerro Torre das erste Mal sehen.
Am nächsten Tag um 1 Uhr 15 Uhr starten Much und ich los. Recht zügig und seilfrei geht es hinauf zum Col de la Esperanza. Dort seilen wir an, gehen weiter. Kurz bevor es hell wird, sind wir am Elmo. Die Kletterei ist nicht schwierig, wir kommen gut voran. Nur eine Seillänge ist eher unfein: Keine Zwischensicherung, kein Stand, nur haltloser, fast senkrechter Schnee. Nach der Pause am Elmo sind die Mixed-Längen wieder super zum Klettern – nach drei Längen kommen wir schließlich zur Headwall. Zum Glück ist hier ziemlich viel Eis und das Klettern bzw. Absichern geht gut. Über einige weniger schwere Längen und Tunnel kommen wir zum Gipfelpilz hinauf.
Vor der letzten Seillänge bin ich ein bisschen ratlos. Ich sehe nicht, wo ich klettern könnte! Umdrehen, so kurz vor dem Gipfel? Ein wenig rechts der Falllinie sehen wir dann eine kleine, vom Wind ausgewehte Eisrinne, über die wir hinauf steigen können. Ziemlich spannende Kletterei, aber es ist der richtige Weg. Die letzten Meter zum Gipfel sind nicht mehr schwierig und so stehen wir am 1. Januar 2015 um 10 Uhr 45 Uhr am Gipfel des Cerro Torre! Supergeil!
Nach vier Stunden Abseilfahrt sind wir wieder beim Zelt und ruhen uns aus für die 14 Stunden Rückmarsch nach El Chaltén. Die Berge Patagoniens lassen mich nun nicht mehr los.
Fitz Roy – ein Jahr später
Fast genau ein Jahr später bin ich an Weihnachten 2015 wieder zurück in Chaltén. Diesmal ist Sonne (Sebastian Posch) mein Partner. Aber wir sind nicht die einzigen Österreicher: Stefan, Timo, Peter und Sepp sind auch mit von der Partie.
Das Wetter ist wie im vergangenen Jahr: Sturm, Regen und Schnee. Wir nutzen das erste gute Wetterfenster und starten in drei Seilschaften zum Fitz Roy. Genauer gesagt zur Supercanaleta. Leider fühlt sich Sonne körperlich nicht hundertprozentig fit, er entscheidet sich alleine wieder abzuseilen.
Die Tour selbst ist ein echter Genuss. Der Routenverlauf ist nicht immer eindeutig und die Mixed-Kletterei ist mit dem ganzen Anraum schon eher anspruchsvoll. Nach zwölf Stunden sitzen dann aber fünf glückliche Österreicher am Gipfel.
Torre Egger – auf die harte Tour
An Neujahr 2016 beim Mittagessen mit dem italienischen Kletterkollegen Korra Pesce kommt die Idee auf, den Torre Egger anzugehen, den Nachbargipfel des Cerro Torre. Das Wetter soll gut werden und sein Partner Tomy hat keine Zeit. Ich bin sofort höchst motiviert.
Da eigentlich jede Route auf den Torre Egger schwierig ist, beobachten wir das Wetter ziemlich genau, um die besten Bedingungen zu erwischen. Geduldig suchen wir uns eine Tour aus, unser Ziel: Psycho Vertical am Torre Egger. Diese Route wurde im Dezember 1986 erstbegangen und seitdem nicht mehr wiederholt.
Wir sind zu dritt – Tomy ist schließlich doch dabei. Wir hatschen also wieder einmal voll bepackt Richtung Niponino und weiter zum Norwegerbiwak. Am Biwakplatz staune ich nicht schlecht: Zwei Argentinier sitzen hier heroben und genießen die Sonne! Doch noch mehr staune ich, als sie mir sagen, dass sie morgen in die Psycho Vertical einsteigen wollen. 30 Jahre keine Wiederholung, und dann zwei Seilschaften zugleich!
Jetzt wird’s knackig
Start um 1 Uhr. Es geht los mit eineinhalb Stunden auf Anschlag zum Einstieg spuren. Ohne Pause weiter in den Eisschlauch. Leider ist es kein richtiges Eis, die senkrechten Passagen sind ziemlich schwierig. Zusätzlich kommt durchgehend Spin Drift, Schnee und Eis daher, die halbe Zeit kann ich nichts sehen. Irgendwann fangen die Techno-Längen an, Tomy übernimmt die Führung. Korra ist der zweite, ich der dritte. Jetzt muss ich zwar nur mehr jümarn, dafür habe ich diesen elendig schweren Haulbag an mir hängen. Eine brutale Schinderei. Irgendwann schließen die Argentinier Inaki und Carlitos auf, wir sind nun als Fünferseilschaft unterwegs.
Nach 18 Stunden erreichen wir ein halbwegs feines Plätzchen zum Biwakieren: Ein kleines Eisfeld mitten in einer riesigen Wand. Damit wir etwas zum Sitzen haben, müssen wir erst einmal zwei Stunden eine Stufe heraushacken. Eine echte Wohltat, nach einem ganzen Tag im Gurt endlich auf den Füßen zu stehen. Die Nacht ist brutal, an Schlaf nicht zu denken. Irgendwann geht alles vorbei, und um 6 Uhr morgens wärmen uns die ersten Sonnenstrahlen.
In der gleichen Gangart geht es am zweiten Tag weiter Richtung Gipfel. Die letzten zehn Längen sind noch einmal richtig hart. Krämpfe in den Armen, Hunger, Durst, und wenn man sich beim Sichern nicht gerade unterhält, schläft man im Stehen, im Stand hängend, ein.
Doch auch das geht irgendwann zu Ende, und mit dem letzten Tageslicht stehen wir endlich am Gipfel des Torre Egger! Überglücklich genießen wir das traumhafte Panorama Patagoniens. Bald schlüpfen wir in den dünnen Schlafsack. Eigentlich ist es ziemlich frisch, aber wir sind so fertig, dass wir richtig gut schlafen.
Am nächsten Morgen starten wir um 6 Uhr unsere Abseilfahrt über die Amerikaner-Route. Sieben Stunden soll sie dauern, und verlangt uns noch einmal alles ab. Bei Hitze, dehydriert, mit Schmerzen am ganzen Körper. Auch das Material, besonders die Seile, ist am Ende. Doch alles ist gut gegangen, wir haben es geschafft. Und damit auch die erste Wiederholung der Psycho Vertical am Torre Egger seit 1986 gemeistert!
Saint Exupéry – noch einmal Patagonien
Nach unserer Tour am Torre Egger mache ich erst mal eine ordentliche Pause: Schlafen, essen, mich einfach erholen – aber nicht allzu lange. Das Wetter ist in diesem Jahr außergewöhnlich gut, und so geht sich noch eine Tour aus. Dieses Mal bin ich mit Peter und Magnus an der Saint Exupéry unterwegs. Wir klettern die Route Chiaro di Luna. Eine absolute Traumlinie und ein Megaklassiker in Patagonien. Natürlich müssen wir auch hier einen siebenstündigen Zustieg zum Polacos-Camp hinter uns bringen, und die Route selbst ist mit zehn Stunden Kletterzeit auch nicht gerade kurz. Doch es hat sich auf alle Fälle rentiert und ist für mich eine schöne Abschlusstour von dieser zweiten, unvergesslichen Kletterreise nach Patagonien.
Allgemeine Infos zum Klettern rund um den Cerro Torre
- Beste Jahreszeit: Dezember bis Mitte März
- Anreise: Vom patagonischen Touristenhub El Calafate in 2,5 Stunden mit dem Bus nach El Chaltén
- Übernachtung: In El Chaltén finden sich jede Menge Hostels, Appartments und Campingmöglichkeiten.
- Kletterführer: Patagonia Vertical von Rolando Garibotti und Dörte Pietron. Sehr guter Kletterführer, hier findet man alle wichtigen Infos zu Übernachtung, Wetter, Zustiegen, Camps etc.
- Kletterausrüstung gibt’s Bergzeit:
Weiterlesen zum Thema Klettern in Patagonien:
- Cerro Torre: Bergabenteuer in Patagonien
- Von weiteren Kletterabenteuern berichten wir in unserer Rubrik „Kletterreisen„.