Dieses Jahr schlagen wir nicht den alljährlichen Weg nach Siurana oder in die Schweiz zum Bouldern ein. Wir sitzen stattdessen im Flugzeug nach Antalya, beziehungsweise nach Geyikbairi. Das kleine Dorf, etwas südwestlich der Touristenhochburg, ist bekannt für seine bis zu 40 Meter hohen Felsgrotten, die dem Örtchen inzwischen den Beinamen „türkisches Klettermekka“ eingebracht haben. Durch Anatalyas hervorragende Anbindung ans europäische Flugnetz ist auch das Klettergebiet in wenigen Stunden ab Deutschland komfortabel erreichbar. Den Weitertransport vom Flughafen nach Geyikbairi organisiert für uns Kezban-Camp, der Campingplatz auf dem wir die nächsten Wochen untergebracht sind.
Türkisches Klettermekka am Schatten Antalyas
Auf dem Weg zum Camp erreichen wir kurz vor Geyikbairi den Basar des Dorfes, wo an den Wochenenden unter anderem frisches Obst und Gemüse den Besitzer wechselt. Vom bunten Treiben fasziniert essen wir die reifsten Orangen meines Lebens und beobachten wie sich Fladen an Fladen (Bazlama) auf dem großen traditionellen Holzofen des Bäckers reiht. Eine wunderbare Einstimmung auf die kommenden Wochen in der Türkei.
Rund um das Hauptgebiet von Geyikbairi gibt es zahlreiche Klettercamps. Kazban-Camp wird seit einigen Jahren von einer einheimischen Familie mit viel Hingabe geführt und erhält seinen besonderen Flair durch authentische türkische Küche, das offene Lachen der Betreiber und so manche Eigenheit, die man zu Hause nicht kennt. Die Herzlichkeit der Familie gibt uns das Gefühl ihr ganz persönlicher Gast zu sein – auch weil nicht für jede Kleinigkeit extra bezahlt werden muss.
Traditionelle türkische Küche
Khan Senol, der Chef des Hauses, steht selbst am Herd und zaubert für seine Gäste die herrlichsten Sachen der traditionellen türkischen Küche. Dabei kann es schon mal passieren, dass man auf dem Weg zur Dusche auf sein späteres Abendessen trifft. Für manchen mag diese Eigenheit ein wenig gewöhnungsbedürftig sein, aber beim zweiten Mal sage ich einfach „Hallo Truthahn!“. Als ich ihn fünf Stunden später wieder sehe hat der Puter seine Federn abgelegt und steht als Teil des Fünf-Gänge-Abendmenüs auf dem Tisch.
Der Bungalow direkt vor dem Felsen
Mit der Aussicht auf frische Temperaturen von um die fünf Grad Celsius haben wir vorab unsere Unterkunft in einen der kleinen aber feinen Bungalows gebucht – nur einen Steinwurf vom ersten Felsriegel entfernt. Als uns vor Ort schließlich weit über fünfzehn Grad Celsius und strahlender Sonnenschein in Empfang nehmen, stört uns der Komfort der eigenen vier Wände nicht: Die Bungalows sind mit viel Liebe eingerichtet, neben einem kleinen Bett samt Nachttisch bieten sie genügend Platz für Reisetasche und Kletterausrüstung. Letztere haben wir immer in greifbarer Nähe, um uns direkt vor unserer Haustür am Sektor Yilan auszutoben. Aufgrund durchaus frostiger Nachttemperaturen bewähren sich schließlich die mitgebrachten neuen Daunenschlafsäcken, die ihren ersten Test mit Bravour bestehen: Ein Hoch auf den ersten Kletterurlaub, bei dem ich nachts nicht frieren muss!
Sinterglück und reife Früchte
Noch eine kleine Annehmlichkeit im Kazban-Camp hat(te) ihren Ursprung direkt vor unserem Bungalow: Eine kleine Granatapfelplantage, die zur letzten Ernte reichlich getragen hatte, versorgt uns mit saftigen Früchten. Zwar ist die „Pflück-mich-vom-Baum-Saison“ schon vorbei, aber Familie Senol stellt ihren Gästen die eingelagerten Granatäpfel kostenlos zur Verfügung. Jeden Tag lassen wir uns das köstliche und vitaminreiche Frühstück schmecken, um mit viel Energie und Elan an den Fels zu kommen.
Um sich langsam an die Felsen von Geyikbairi zu gewöhnen, bietet der Felsriegel Yilan eine hervorragende Gelegenheit und mit Touren wie Dropzone (7a+), Camelita (7a) und Ach wär ich doch … (7a+) ein paar besondere Schmankerl. Insgesamt umfasst das gesamte Klettergebiet inzwischen weit mehr als 30 verschiedene Sektoren. Auch in zwei Wochen lässt sich dieses Angebot unmöglich ausführlich erkunden geschweige denn beklettern.
Über 30 Sektoren, unzählige Kletterrouten
Wir entscheiden uns in den nächsten Tagen für den Sektor Anatolya Sol, der leider nur am frühen Vormittag im Schatten liegt. Die besonders erwähnenswerten Touren heißen Turkish Airways (8a+) und Truth Hurts (8a+), wobei die Route Turkish Airways zum absoluten Renner geworden ist. Um den Umlenker klippen zu können, muss man etwas Geduld mitbringen. An anderen Routen bzw. Sektoren geht es ruhiger zu und man kommt eher zum Zug.
Für Liebhaber der etwas ruhigeren Gangart am Fels ist die Grotte Magara zu empfehlen. Die Grotte besitzt mit Agustos Böcegi, Karinca und Amele einige schöne Touren im unteren siebten Franzosengrad und zusätzlich viele 6as und 6bs im rechten Teil des Sektors. Wer sich seiner Ausdauer stellen will, hat außerdem in Selamin Aleyküm (7c), 32 Meter reinstes Sintervergnügen vor sich – der Granatapfel am nächsten Tag ist nach dieser Tour wirklich ehrlich verdient!
Sarkit: White Spirit fordert Laktatreserven
Ein paar Kalkmeter weiter links findet sich der Hauptsektor Sarkit. Um nicht vollends in der Sonne zu zergehen, verdrücken wir uns in eine grottenähnliche Einbuchtung im Fels, die uns mit der Route Iner Smile (7b+) eine wahnsinnig abwechslungsreiche Tour mit fantastischen Fingerlochzügen in der Crux bietet. Im Schatten sind die Temperaturen angenehm, das Klettern macht Spaß ohne uns bei jeder Anstrengung völlig zu plätten. Im rechten Teil der Grotte wartet eine der abwechslungsreichsten Touren des Sektors – White Spirit (7c+) – auf genügend Laktatreserven mit vollen 32 Metern Kletterspaß an Seitschuppen und Megasintern. Diese pumpige Tour ist das exakte Gegenteil der kurzen und knackigen Routen im mittleren Wandbereich der Grotte, wie z.B. Saxafon (6b+) und Retsa (6c).
Sektor Alabalik: Die Regenoption
Als das Wetter umschwenkt entscheiden wir uns für den Felsriegel Alabalik Balkon, ein etwas unterhalb des Ortes gelegenes und wettergeschütztes Gebiet. Für den Zugang gibt es zwei Möglichkeiten: zum einen den Weg vorbei am fantastischen Fischrestaurant Alabalik Restaurant, zum anderen den steilen aber kurzen Abstieg über Fixseile. Wir wählen letzteren und finden uns sogleich zwischen den Sektoren Alabalik und Alabalik 1 wieder. Wer gute Aufwärmrouten an scharfkantigem Fels sucht, ist mit den Touren Sky Window, Gewinnt und Butterfly Boulevard im Alabalik Balkon 3 bestens beraten. Nach einem kurzen Warmup zieht es uns förmlich zu den hintersten Sektoren des Alabalik Balkon.
Zum Abschied noch ein Schmankerl
Im Alabalik Balkon 3 erwartet uns eine konstant überhängende Welle aus Kalkstein, die mit an die fünf Touren ab dem achten Grad französischen Grad bestückt ist. Zu den schönsten zählen Havanna Club (8a) und Alabalik (8a+). Letztere zeichnet sich durch eine trickreiche Sinterpassage unter einem Sloperquergang aus. Angesichts der einladenden Grotte des benachbarten Sektors Alabalik Balkon 4 lässt es sich an Sektor 3 allerdings nur schwer lange aushalten.
Mit der Tour Chaine Erection (8a) wird dem Grottenliebhaber alles geboten, was sein Herz begehrt. Die Tour führt durch einen ausladenden, fünf Meter langen Überhang gespickt mit mehreren Sintergriffen, die absolutes Toe-und Heelhook-Können voraussetzen. Anschließend fordern riesige Untergriffe nochmals die Oberarm-Reserven. Nach einem gemütlichen Knieklemmer auf halber Höhe warten schlussendlich noch gute zehn Klettermeter im etwas seichterem Gefilde.
So wie mit dieser letzten Tour in Geyikbairi ist es ist mit Urlauben und Reisen häufig: Erst geht es richtig zur Sache, dann sind es nur noch ein paar Züge oder Tage und plötzlich ist man oben – oder man hängt im Seil. Mit Bedauern sitzen wir wieder im Flieger zurück nach Deutschland und wissen genau, was wir am nächsten Morgen definitiv vermissen würden.
Klettern in Geyikbairi bei Antalya
Eine der interessanten Entwicklungen für die Sportkletterszene ist das Klettergebiet Geyikbairi bei Antalya an der türkischen Küste. Die türkische Kletterszene um Ötztürk Kayici hat volle Arbeit geleistet und ein Mekka für Sportkletterer geschaffen.
- Anreise: Die Erreichbarkeit ist mit Billigflügen diverser Chartergesellschaften wirklich problemlos. Setzt man sich im Vornherein mit den Campingplätzen beim Gebiet in Verbindung wird man zuverlässig vom Flughafen in Antalya oder Istanbul (zwischen 10-30 Euro) abgeholt.
- Beste Reisezeit: Die Wintermonate sind sehr günstig: Tagsüber ist es angenehm warm und ideal zum Klettern, nachts kann es allerdings richtig kalt werden.
- Führer, Übernachtung Geyikbairi, Lebensmittel: Erste Informationen gibt es in den Camps. Vor Ort gibt es den Kletterführer „Sportclimbing in Antalya“ von Ötztürk Kayici. Es gibt mittlerweile mehrere Camps. Hier eine Auswahl der populärsten Camps 1. Kezban Camp (traditionelle Küche, familiär, günstig), 2. Josito Camp (sehr komfortabel, deutschsprachig), 3. Climbers Garden (gut für Selbstverpfleger, gut und günstig). Der nächste Ort mit Versorgungsmöglichkeiten ist Çakirlar rund zehn Kilometer von Geyikbayiri entfernt. Die Busanbindung ist problematisch, ein Mietauto ist empfehlenswert – oder man versucht sein Glück mit dem Glück des Daumens. In Çakirlar gibt es ein Lebensmittelgeschäft, für Selbstversorger mit Multifuel-Kocher auch eine Tankstelle und eine Apotheke.
- Einreise- und Ausreisebestimmungen: Kletterer aus Österreich benötigen ein Visum, um in die Türkei einreisen zu können (vor der Passkontrolle an den Visaschaltern für ca. 15 Euro erhältlich). Aktuelle Einreisebestimmungen gibt es für Reisende aus Österreich auf der Webseite des Außenministeriums Österreich. Reisende aus Deutschland informieren sich beim Außenministerium Deutschland über die aktuellen Einreisebestimmungen, bzw. der zuständigen Behörde im jeweiligen Einreiseland.
- Währung: In der Türkei gilt der Türkische Lira als Währung. Mit dem Euro kommt man abseits der Klettercamps nicht weit. Die unscheinbaren Geldautomaten gibt es nur in der Nähe von größeren Städten (z.B. Antalya oder Kemer). Die kleinen Häuschen stehen dort meist unauffällig am Straßenrand der Hauptstraßen.