Es gibt wohl keine Wand in den Ostalpen, die mehr Bergsteiger fasziniert und öfter mit traurigen Unfällen in den Lokalzeitungen Schlagzeilen macht. Vor allem kann ihr in Sachen Dimension kein anderer Felsriese das Wasser reichen. Wovon die Rede ist? Es geht um die legendäre Ostwand des Watzmann, die mit 1.800 Metern Höhenunterschied die höchste durchgehende Felswand der Ostalpen ist.
Watzmann Ostwand – ein ostalpiner Klassiker
Aufstieg über die Eiskapelle
Die Übernachtung bringt am nächsten Tag den entscheidenden Zeitvorteil, sollte man nicht wie der aktuelle Rekordhalter Phillip Reiter im Jahr 2018 innerhalb von 1 Stunden und 52 Minuten durch die Wand sprinten wollen. In unserem Fall klingelt der Wecker um vier Uhr und wir sind pünktlich zum Sonnenaufgang an der Eiskapelle (830 Meter), dem am tiefsten gelegenen permanenten Schneefeld der Alpen und dem Einstieg zum „Berchtesgadener Weg“(max. 3+).
Maximilian Dräger
Maximilian Dräger
Die Bezeichnung „Weg“ ist allerdings nicht wörtlich zu nehmen! Trotz einiger Haken und Markierungspunkte ist die Watzmann Ostwand quasi nicht markiert und man bewegt sich trotz einiger Gehpassagen größtenteils kletternd fort.
Über einen grasigen Rücken links des Schneefelds und einige Rinnen sowie Schrofengelände gelangt man zügig zu einer langen Querung, die ins große Schuttkar auf 1.340 Metern führt.
Die Abzweigung nach rechts auf eine plattige Rampe verpasst unsere Gruppe leider und anstatt in leichtem 1-2er Gelände emporzusteigen müssen wir hautnah erleben, welche Konsequenzen Unachtsamkeit bei der Wegfindung in der Ostwand haben kann.
Maximilian Dräger
Maximilian Dräger
Ein Versteiger und seine Folgen
Vor uns steilt die Wand auf und in nicht abzusichernder Kletterei schrubben wir über Platten im 4. Grad die Watzmann Ostwand nach oben. Insgesamt kostet uns dieser Verhauer rund eineinhalb Stunden, ehe wir wieder auf dem richtigen Weg sind. Die Orientierung ist – abgesehen von der Länge! – schlichtweg die größte Herausforderung bei der Besteigung und man ist gut beraten, den Routenverlauf penibel einzustudieren. Das Vergleichen verschiedener Topos ist dabei äußerst hilfreich!
Nach den zwei Spornen und einigen Klettermetern im zweiten Grad folgt schließlich eine der Schlüsselstellen der Tour:
Steinschlag in den Ausstiegsrissen Richtung Watzmann-Gipfel
Nach der Schachtel geht es zunächst einige Meter nach rechts, dann nach links in eine brüchige Rinne und über zwei Steilstufen zum Einstieg der Ausstiegs-Kamine. Rrrrrrrrrssssssssshhhhh…klonk.. klonk.. – einige faustgroße Felsbrocken fliegen an uns vorbei. Ausweichen ist schlichtweg unmöglich. Ruhig bleiben, abwarten, hoffen. Alles gut! Es trifft keinen und wir können uns dem klettertechnisch schönsten Teil der Wand widmen.
Doch es ist nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass wir Steinschlag begegnen. Das Klettern in der Watzmann Ostwand ist und bleibt, ganz objektiv betrachtet, einfach ein relativ gefährliches Unterfangen und ich möchte mir nicht ausmalen, wie es wohl an Tagen mit deutlich mehr Seilschaften ist. Hat man die Ausstiegskamine hinter sich gelassen, passiert man einen kleinen Sattel auf 2.630 Metern, wo die eigentliche Schlüsselstelle, die acht Meter hohe Schlusswand, auf einen wartet. Zwar ist eine Umgehung direkt zum Grat zwischen Süd- und Mittelspitze möglich, aber diese wirkt so brüchig, dass wir uns für die Diretissima entscheiden. Eine fest installierte Drahtschlaufe erleichtert das Hochsteigen und dann sind es nur noch wenige Meter zum Grat, dem wir kurz nach links auf den Gipfel der Watzmann Südspitze folgen. High five! Geschafft!
Maximilian Dräger
Abstieg über das Wimbachgries
Nach einer aussichtsreichen Gipfelrast hat man nun zwei Möglichkeiten für den Abstieg ins Tal: Entweder man hängt die Watzmann-Überschreitung über die Mittelspitze, Hocheck und das Watzmannhaus noch an die Tour und gelangt so über die Kühroint-Alm wieder zum Nordufer des Königsee oder man steigt, wie wir, nach Süden in das Wimbachgries ab und endet an der Wimbachbrücke. Von dort aus geht es dann entweder mit dem Bus oder per Anhalter wieder nach Schönau zurück.
Beide Varianten haben durchaus ihren Reiz, sollten aber bei der Tourenplanung aufgrund ihrer Länge (man steigt eben rund 2.000 Höhenmeter ab) nicht vernachlässigt werden. Einkehrmöglichkeiten gibt es sowohl auf der Wimbachgrieshütte als auch auf dem Watzmannhaus.
Fazit zur Watzmann Ostwand
Die Watzmann Ostwand ist nicht umsonst ein großer alpiner Klassiker und auf dem Berchtesgadener Weg hat man als routinierter Bergsteiger vermutlich wenig klettertechnische Probleme. Allerdings sollte man sich genauestens mit dem Routenverlauf auseinandersetzten, um die Schwierigkeiten bei der Orientierung zu bewältigen. Perfektes Wetter und eine sehr gute Kondition vorausgesetzt, erwartet einen ein wunderschönes Bergerlebnis mit viel Luft unter den Sohlen. Der Berchtesgadener Weg ist damit eine der Touren in den Alpen, die man unbedingt mal gemacht haben sollte!
HINWEIS: Die Kletterei in der Wand geht zwar nicht über den dritten UIAA-Grad hinaus, trotzdem sollte man sich, wenn man sich unsicher ist, ob man den klettertechnischen Schwierigkeiten der Tour gewachsen ist, einen Bergführer nehmen.
- Lage: Berchtesgadener Alpen, Bayern
- Ausgangspunkt: Schönau am Königssee (ca. 5 km von Berchtesgaden)
- Gipfelhöhe: 2.712 Meter (Watzmann Südspitze)
- Wandhöhe: 1.800 Meter, 3,5 Kilometer Kletterlänge
- Schwierigkeit: 3+ (UIAA)
- Absicherung: alpin bzw. gar nicht
- Exposition: Ost
- Stützpunkt: nicht bewirtschaftetes „Ostwandlager“ in St. Bartholomä (keine Reservierung notwendig, 35 Plätze, steht von Anfang/Mitte Juni bis Anfang/Mitte Oktober nur für Ostwand-Begeher offen!)
- Stützpunkt (Notfall): Watzmann Ostwand Biwakschachtel (unbewirtschaftet, 10 Notfall-Übernachtungsplätze), 2.380 Meter
- Zeitplan:
Ostwandlager – Eiskapelle: 1 Stunde
Eiskapelle – Südspitze: 7 bis 8 Stunden
Abstieg über Wimbachgries: ca. 5 Stunden - Ausrüstung: Kletterhelm, Zustiegsschuhe, Kletterausrüstung inkl. 50 Meter Seil, 3 Expressschlingen, evtl. Grundsortiment Klemmkeile